29. Dezember 2005 Hans
Fraeulin: Brief aus Graz
Der Schrecken ist
woanders
In vielen Artikeln, Kommentaren, Postings und
Leserbriefen zum Fall Schwarzenegger wurde sich darüber beklagt, dass es wichtigeres
gebe, als über den Namen eines Fußballstadions zu diskutieren die einen in der
Hoffnung, es möge Gras darüber wachsen, die anderen in echter Sorge um dringende
Anliegen, welche in den Hintergrund gedrängt wurden. Die Art und Weise, wie die Grazer
Öffentlichkeit diesen Fall verarbeitete, dass wir erleben konnten, wie die
einfachsten politischen und journalistischen Grundsätze zum persönlichen Vorteil
relativiert wurden, wie Kampagnen geschürt und eine friedliche Gegend gegen vermeintliche
Nestbeschmutzer aufgehetzt werden sollte, all das in einem seltsam bekannten Stil, macht
den Fall Schwarzenegger jedoch wichtig.
Der große Sohn
Fast jede Stadt hat ihren großen Sohn und kaum
eine hat eine große Tochter, was an sich schon ein Skandal ist. Umso ärgerlicher, dass
sich die Stadt, in der ich lebe, an einen bekannten Hollywood-Schauspieler rangeschmissen
hat, um ihm allerhand Ehrungen anzudienen mit dem Hintergedanken, dadurch auch bekannt zu
werden. Das Dorf, in dem er aufwuchs, gehört noch immer nicht zu Graz, egal. Sogar ein
Fußballstadion wurde nach ihm benannt, obwohl er Kraftsportler war. Nun rächt sich, dass
der große Sohn noch lebt und als Politiker Verbrechen begeht. Peinlich ist auch die
Diskussion in der Stadt, ob das, was ihr großer Sohn verbrochen hat, ein Verbrechen ist.
Dabei ist die Sache klar: Wer einen Mord nicht verhindert, obwohl er alle Möglichkeiten
dazu hat, ist ein Mörder. Eine Stadt ehrt einen Mörder.
Schämen 1
Darf ich da überhaupt mitreden? Nun ja. Auch das
Dorf, woher ich komme, hat seinen großen Sohn und keine Tochter. Eine Sporthalle im
Nachbardorf ist nach ihm benannt, aber weil er sie mit seinem eigenen Geld bezahlt hat,
genauer gesagt sein gleichnamiger Sohn, welcher ihm in der Firma nachfolgte und gern
Federball spielte. Selber ist er nicht so bekannt geworden wie Arnold Schwarzenegger, aber
seine Erfindungen, die bekannteste der Goldbär, können dank Thomas
Gottschalk in ihrer Bekanntheit locker mit jedem Hollywood-Star mithalten. Wegen Hans
Riegel aus Friesdorf brauche ich mich als Hans Fraeulin aus Friesdorf nicht zu schämen.
Es hat sich dort meines Wissens noch keiner die Mühe gemacht, wenigstens an seinem
Geburtshaus eine Tafel anzubringen. Jetzt wird es aber langsam Zeit. Hasta la vista,
Baby, mag zwar hinlänglich bekannt sein. Aber was ist das gegen: Haribo macht
Kinder froh!
Schämen 2
Dass Haribo im Krieg Zwangsarbeiter beschäftigt
haben könnte, ist auszuschließen. Gummibärchen und Lakritzen sind so ziemlich das
Gegenteil von kriegswichtig, wenn nicht sogar Wehrkraft zersetzend, wie das
immer noch heißt. In der Firmengeschichte vermerkt sind jedenfalls schleppende Geschäfte
und der frühe Tod des Firmengründers mit 52 Jahren. Aufgefallen sind mir als
Schulbub in den Fünfzigern die fröhlich mit Konfekt lackierten Busse. Die Herstellung
von Zuckerln (urspr. frz.: Bonbons) war früher sehr personalintensiv. Um
aus den umliegenden Dörfern die Frauen in die Fabrik und wieder nach Hause zu bringen,
unterhielt die Firma eigene Buslinien rund um die Uhr. In Graz kann sich das keiner
vorstellen. Dort verbietet der Eigner der Autofabrik, dass Firmenangehörige ihr Fahrrad
auf dem Werksgelände abstellen.
Schämen 3
Auch beim großen Sohn der Stadt, zu der
Friesdorf und Kessenich mit dem Stammhaus von Haribo (Hans
Riegel Bonn)
seit vielen Jahren gehören, brauche ich mich nicht zu schämen. Als ihm auf dem Bonner
Münsterplatz ein Denkmal gesetzt wurde, sorgte er post mortem noch einmal für einen
Skandal. Die preußischen Hoheiten mussten bei der Enthüllung von ihrem Balkon aus
pikiert feststellen, dass ihnen der große Meister den Rücken zukehrte. Ein Adabei
rettete die Situation mit der beiläufigen Bemerkung, dass Beethoven immer schon eine
Abneigung gegen den Adel gehabt habe und ihm das nicht verübelt werden könne, zumal er
längst tot sei. Den meisten Österreichern wird übrigens während ihrer ganzen Schulzeit
verschwiegen, wo Ludwig van Beethoven geboren wurde.
Heimat bist du
Der Gemeinde Braunau am Inn hat es nicht viel
geholfen, sich vom größten Verbrecher aller Zeiten spät, aber doch zu distanzieren,
obwohl seine steile Karriere am anderen Ufer des Inn, im Ausland begann. Nicht einmal
aufgewachsen ist er in Braunau und die Tafel an seinem Geburtshaus bereits vor vielen
hundert Jahren abmontiert, wie mir ein populärer Musiker aus meinem Bekanntenkreis
versichert, der zufällig auch in Braunau geboren wurde. Immer noch pilgern Fans am 20.
April, Adolf Hitlers Geburtstag, nach Braunau, und die dortigen Autoritäten würden
nichts dagegen tun, sagt Braunaus zweitgrößter Sohn.
Heimat bist du
großer
Längst sind in allen Gemeinden Österreichs die
Ehrenbürgerschaften für Adolf Hitler und andere Nazigrößen aus dem Personenregister
getilgt. Sollte man meinen. Ich bin mir nicht so sicher. Fast jede steirische Gemeinde hat
ihre Kernstock- und Klöpfergassen, sattsam bekannte Nazi-Dichter. Darauf hingewiesen wird
stets beteuert, sie hätten nicht nur NS-Elogen, sondern auch schöne Gedichte geschrieben
im Dialekt der Heimat gar.
Söhne
Staatsverbrecher reden sich stets und gern damit
heraus, nur die Gesetze angewendet zu haben, um nicht zuletzt die Einheit des Landes zu
wahren. Wir dürfen gespannt sein, ob Saddam diesbezüglich unsere Erwartungen erfüllt,
nachdem Milosevic und Pinochet nicht anders argumentieren. Wer im Fall Schwarzenegger zu
bedenken gibt, der Mann wende nur die Gesetze seines Landes an, begibt sich demnach mit
seinem Schützling auf gefährliches Terrain. Schwarzeneggers Land mag zwar eine der
größten Volkswirtschaften der Welt sein, sanktioniert aber Mord, wenn auch nur den
staatlich verordneten Mord. Mord ist Mord. Wie auch immer, fahre ich nicht gern in ein
Land, in dem Mord straffrei möglich ist.
Zivilgesellschaft
Angst spurlos zu verschwinden muss ich in
Kalifornien nicht haben. Dass mich staatliche Autoritäten entführen könnten, ist nicht
zu erwarten. Dass sie dich anhand von Behauptungen ein Leben lang hinter Gitter sperren
und anschließend umbringen, um Freund Hein zuvorzukommen, ist allerdings abartig und
pervers und offenbar eine kalifornische Spezialität. Regie: Arnold Schwarzenegger,
Wiederholung demnächst in diesem Theater, angesagt ein alter Krüppel.
Trotzdem, bei allen sonstigen
menschenverachtenden Praktiken in den Vereinigten Staaten können wir uns sicher sein,
dass es dort auch viele Menschen gibt, welche sich dagegen wehren. Ob wir einen
gnadenlosen Landeshauptmann unbehelligt einen Verbrecher nennen dürfen oder nicht, ist
das eigentliche Kriterium.
Ehre, wem Ehre
Graz ehrt seine Größen bereits zu Lebzeiten,
spätestens bei einem frühen Tod, und das ist großartig. Unter denen, die mir gerade
einfallen, befindet sich auch eine große Tochter, die es in der Welt zu was gebracht hat,
Inge Morath, die große Fotografin. Und, in Graz muss man nicht geboren sein, wie die
Verehrung für Ivica Osim, den Fußball-Weisen zeigt. Das Tam-Tam um Arnold Schwarzenegger
seinerzeit mit großem Auftritt in der Oper und allerhand Herumreichungen à la
Cloche-Merle fiel mir auf, wäre auch dem großen Sohn aufgefallen, wenn statt eines
Fußballstadions ein Pissoir nach ihm benannt worden wäre. Danach entstanden für Stadt
und Land keine weiteren Kosten. Sie hatten eine Marke (Graz), ein Produkt (Steiermark) und
einen Gottschalk.
Karrieren
Wenn Thomas Gottschalk den Karriereweg von Harald
Juhnke einschlagen würde, brauchen wir nicht lange zu grübeln, was dann passiert. Haribo
würde ganz einfach den Vertrag kündigen. Whisky verträgt sich nicht mit Gummibärchen.
Ein Filmschauspieler wird Verbrecher, na und? Der Bürgermeister einer Stadt in der Nähe
seines Geburtsorts windet sich in Kniefälligkeiten, die örtlichen Zeitungen werden zu
Stürmer-Blättern ohne Scham, und der Chor singt Wiegeleweia. Professionals schmeißen
ihre einfachsten Grundsätze aus dem Fenster, von unveräußerlichen Menschenrechten
wollen sie nichts hören, polemisieren gegen linke Kräfte irgendwo und projizieren ihren
scheinheiligen Schein zur besseren Beleuchtung ihrer Zielscheiben. Der völkische
Beobachter räumt seitenweise Stimmungsberichte des gesunden Volksempfindens ins Blatt und
macht die ewig Dummen zu Wortführern in diesem Land. Wie jämmerlich das alles ist, dass
sich die Kulturredaktion des Pfaffenspiegels erst zur vorletzten Vorstellung eines lokalen
Kabaretts traut, die Premierenkritik zu veröffentlichen, es ist nicht zu fassen.
Einfacher Schluss
Wie das alles passieren konnte, sollten wir
klären, bevor uns der Rest ziviler Umgangsformen abhanden kommt. Fangen wir mit einer
Hauswand an, die bis Silvester übertüncht werden muss.
Hasta la vista, baby!
Hans Fraeulin
Graz, am 23. 12. 05
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