16. Oktober 2005Gestern. Die Kaffeehausrunde. Es ging unter
anderem um Demut. Aber es wurde uns schnell klar, was sich da an Unschärfe auftut. Über
die Konnotationen. Denn die Demütigung (als etwas, das einem aufgebürdet wird) ist eine
ganz andere Kategorie als jene Demut, die man selbst daraus beziehen kann, wenn man in der
Lage ist, zu sagen, was genug sei. Selbstbeschränkung ist ein Aspekt der Autonomie. Wenn
ich mir selbst Regeln zu geben vermag, habe ich Kriterien, was nötig, was wünschenswert
und was genug sei.
So war recht schnell das Thema Selbstbestimmung auf dem Tisch. Demütigung ist ja vor
allem ein erheblicher Druck auf Selbstbestimmung zu verzichten. Wo das nicht durch rohe
Gewalt geschieht, wird der Verzicht auf Selbstbestimmung vorzugsweise über
Herabwürdigung angetragen.
Was mich zu Handke bringt. Ich habe gestern die Durchsicht des zweiten seiner umstrittenen Bücher abgeschlossen. Ohne
eine einzige Stelle finden zu können, die rechtfertigen würde, daß man ihn nun seit
über einem Jahrzehnt anfeindet. Also kann ich dieser Vorgänge nur als Akte der
Aggression deuten, durch die ein unbequemer Autor herabgewürdigt und seiner Autonomie
beraubt werden sollte. (Was auffallend NICHT gelingt.)
Warum ich Handke verteidige? Hm. Tu ich das? Könnte ich das? Will ich das? Braucht er
das? Nichts von all dem. Ich hab ja auch mit Handke eigentlich nichts zu schaffen. Aber
die Kontroversen, die sich an ihm rund um den jugoslawischen Sezessionskrieg entzündet
haben, finde ich anregend.
Man könnte sagen, wenn ich hier was verteidige, dann das Denken.
Komplexitätsreduktion recht und schön, Alltagsleben wäre ohne die Fähigkeit dazu
vermutlich nicht zu schaffen. Aber wenn daraus Diffamierung wird, entsteht doch
Diskussionsbedarf.
Ich hab den Autor Franz Weinzettl gelegentlich gefragt, was nach seiner Meinung der
Grund sei, warum Handke wegen Textstellen angefeindet werde, die man in den genannten
Büchern einfach nicht finden kann.
Weinzettl meinte sinngemäß, daß vielen Menschen nur eine Welt in Schwarzweiß
erträglich sei, während Handke ja offensichtlich auch an Grautönen und anderen
Schattierungen arbeite. Was doch eigentlich die Aufgabe eines Autors sei, setzte
Weinzettel sehr still nach.
Was sind die Aufgaben der Autorinnen und Autoren? Die wählen wir uns natürlich
selbst. Dabei brauchen wir keine Zurufe von außen. (Im Idealfall!) Daß sich sehr viele
Schreibende (oder überhaupt: Kunstschaffende) mit den "Wertfragen" ihrer Kultur
befassen, heißt außerdem nicht, daß sie sich persönlich diesem oder jenem Wertekatalog
verpflichtet fühlen.
Literarische Praxis ist ja in sehr hohem Maße ein Reflexionsgeschäft. Daß man die
Ergebnisse von Reflexion auch auf sich selbst anwendet, sozusagen dem Denken eigene Taten
folgen läßt, ist durch nichts garantiert oder auch nur nahegelegt.
Matthias Horx
meint dazu, vermutlich augenzwinkernd: