2. Juli 2005

Was! Wäre ein Leben ohne Geständnisse? Ja, ich weiß. Ein Leben ohne Kronenzeitung, Bildzeitung und die ganze Yellow Press. Nein. So hab ich's nun aber nicht gemeint. Ich, zum Beispiel, ich hätte zu gestehen, daß ich ein Brioche-Junkie bin.

Längst hab ich versucht, es mir abzugewöhnen. Aber. Wozu eigentlich? Weil es physiologisch keinen besonderen Nutzen entfaltet? Ha! Das löse ich psychosomatisch. Ein Biß ins Gebäck und Freude küßt den Leib. Das ist eben so. Darauf reagieren dann auch die Blutwerte und was im Körper sonst noch so über seine Befindlichkeit Auskunft gibt. Na, wenn DAS keine physiologisch günstige Wirkung ist ...

Abgewöhnen weil es eine teure Leidenschaft ist? Nein! Billige Supermarkt-Ware kommt nicht in Frage. Vielen dieser Ketten müßte man ja amnesty international auf den Hals hetzen, wie da zum Beispiel Semmeln in der Eigenproduktion gemeuchelt werden. Ach, was heißt Eigenproduktion? Teiglinge, das klingt wie es aussieht, Teiglinge aus der Industrie werden im Laden zu ich weiß nicht was verbacken. Selbst die Baubehörde würde einschreiten, wenn man diese Batzen im Maurermetier verwenden wollte.

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Aber ein duftiges Werk mit Rosinen, grobem Zucker und Mandelsplittern, aus einem Betrieb, wo man sich auf solche Dinge versteht, als Ergänzung des Vormittagskaffees, läßt selbst miese Tage zurechtrutschen. Punktum.

Cut!

Was schreibt sich eine Soldateska ins Pflichtenheft, wenn ein Volk gründlich zu Boden geworfen werden soll? Töte die wehrfähigen Männer. Und deren kleine Söhne, die sich 15 Jahre später rächen könnten. Schände und schwängere ihre Frauen, damit sie in ihren Herzen entzweit sind. Zerstöre ihre Häuser, damit sie im Dreck sitzen. Vernichte ihre Erinnerung und ihr Bildungswesen, damit nur verstörte Bauern und Hirten übrigbleiben.

Die High Tech-Variante dieser Haltung ist uns von Amerikanern aus Vietnam überliefert: Wir bomben sie in die Steinzeit zurück. (Ich werde demnächst mal nachschlagen, was einst der olle Clausewitz in diesem Zusammenhang empfohlen hat.)

Warum hab ich diese Themen dauernd auf dem Tisch? Europa ist so gründlich durchtränkt von den Traumata ungezählter Kriegshandlungen, daß uns die Erfahrungen und daraus abgeleiteten Stereotypen andauernd im Wege steht. Selbst jenen, die keine Kriegshandlungen erlebt haben.

Cut!

Ich hab mit Sicherheit selten einen so faszinierenden Intellektuellen getroffen, wie den bosnischen Autor Dzevad Karahasan. Erst Jahre nach meinen Begegnungen mit diesem Mann aus Sarajevo hat man mir auf serbischer Seite erzählt, diese langsame und bedächtige Art, diese freundliche Grundhaltung und dieser feine Humor seien ganz typisch für bosnische Muslime.

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Dzevard war so freundlich, mein Literaturset beim ersten "netART community congress" [LINK] in Graz zu bereichern. Man ist dort zuerst eher irritiert gewesen, was ein Vortrag über das Theater der griechischen Antike zur Sache beitragen solle. Aber als Dzevad sich auf die Couch setzte und frei darüber sprach, wurde schon klar, was wir da an Gesten und Motiven in einem enormen Zeitbogen der Kontinuitäten finden.

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Durch sein "Tagebuch der Aussiedelung" bekommt man eine Ahnung, was Krieg bedeutet, noch bevor einen Gräuel unmittelbar treffen:
"Das ist die niederschmetternde Wirkung dieses Krieges auf jene, die davonkommen, auf jene, die nicht verletzt oder getötet werden: sie verlieren das Vertrauen in die Realität, oder zumindest in ihre Fähigkeit, diese Realität zu erleben; sie verlieren die Welt, so wie ich mein Haus verlor, während ich es betrachtete und entdeckte, wie schön es war."

Es ist natürlich kein Zufall, daß ich dieses Buch nun hervor geholt habe ... Merkwürdiges Detail, in das man allerdings kein Geheimnis hineinvermuten muß, das Buch Karahasans ist im gleichen Format erschienen wie Handkes Berichte über die winterliche und die sommerliche Reise.

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