12. September 2004In unruhigen Zeiten schlafe ich oft unruhig. Dies sind unruhige
Zeiten. Also ist ein Sonntag, an dem mich die Kirchenglocken morgens noch nicht aus dem
Schlaf gerissen haben, für mich eine Besonderheit. Da mein Schlaf diesem
Rückzugsgeläute der ältesten Firma der Welt standgehalten hat.
Heute war so ein Sonntag. Ich habe sogar die acht
Uhr-Hürde schlafend genommen. Allerdings führt die lange Rathausgasse genau auf mein
Schlafzimmer zu. Diese Gasse ist die Blaskapeller der Stadt heute heraufmarschiert. Das
hat mich aus dem Bett geschmissen.
Was für ein netter Auftakt an einem Wochenende, da
"Der Standard" auf der Eins einen Politiker zitiert, der vor dem EU-Betritt der
Türkei warnt. Und doch hängen wir so sehr an den Erinnerungen, da die Osmanen noch
Belgrad berannt haben und von Prinz Eugen in Bedrängnis gebracht wurden; da die Türken
vor Wien lagen und, wenn ich mich recht erinnere, ein polnischer Fürst die Habsburger
herausgehauen hat.
Denn die Blaskapelle, die sich hier im öffentlichen Raum
inszeniert, vermutlich um einem Toten den Abgang zu bereiten, was wiederum heftiges
Glockengeläute nach sich zieht, stammt von der Kriegsmusik der Janitscharen ab. Das waren
osmanische Eliteeinheiten, aus Christen zusammengestellt.
Noch heute, wenn einen eben so eine "Marching
Band" morgens aus dem Bett haut, ahnt man: das war einst ein Instrumentarium des
Krieges.
Ich frag mich freilich, was das für Menschen sind, die
jemanden mit solchem Getöse aus der Welt verabschieden müssen, sich einer ganzen Stadt
mitteilen wollen in diesem "Ach, was schmerzt es mich!" Und das ist ja der
springende Punkt. Daß sich Hinterbliebene so wichtig nehmen, denn, wie es Norbert Elias
in seinem so berührenden Buch über "Die Einsamkeit der Sterbenden ..." auf den
Punkt bringt: Tote haben keine Probleme.
Und nun, statt an der eigenen Kultur zu arbeiten, daß zu
Lebzeiten eine erträgliche Nähe möglich wird, zu den Gezeichneten, zu den Sterbenden,
bleibt all das ausgeblendet, aber dann, am Ende der Geschichte, die Nachbarn morgens aus
dem Bett hauen mit Glockenstürmen und Janitscharenmusik.
Daß sich ein Bestattungsunternehmen "Eden"
nennt, halte ich ja schon für eine ziemliche Peinlichkeit. Solche Fachbetriebe für
Betroffenheitsgymnastik machen aber wenigstens deutlich, was zur Disposition steht. Wenn
schon würdevolles Sterben zu den seltenen Optionen gehört, soll würdevolles
Abnschiednehmen dieses Umstand bemänteln.
(Die Rechtschreibprüfung meiner etwas alten Word-Versionen
hat mir für "Osmanen" gerade "Ausmalen" angeboten. Netter Beitrag zur
EU-Debatte ...)
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