Beograd (4)
Entlang der Strecke brannten Feuer auf den Feldern.
Die Ernte war eingebracht. Es ging an Dörfern vorbei, wie ich sie aus dem Burgenland
kenne. Am Dorfeingang ein Kruzifix am Straßenrand. Frauen in Kittelschürzen hatten sich
mit Sesseln um dieses Kreuz versammelt, Kinder tollten um sie herum. Ich war zwischen
solchen Momenten völlig von meiner Lektüre vereinnahmt.
Reemtsma schrieb in seinem Buch zu den Folgen seiner
Überwältigung: "Alles ist, wie es war, nur paßt es mit mir nicht mehr zusammen.
Als trüge ich eine Brille, die alles einen halben Zentimeter nach links oder nach rechts
verschiebt."
Ich habe selbst rund ein Jahrzehnt gebraucht, um genau
diese Divergenz zu ertragen. Wenn ich manchmal an jemandem anstreife, der das auch kennt,
dann macht das ein kurzes Aufatmen. Und mit jedem der spärlichen Ereignisse, die so ein
Aufatmen herbeiführen, wird diese Bürde des Abweichens etwas leichter.
Oder. Es ist vielleicht gar nicht das Abweichen. Sondern
daß alle anderen, die sowas nicht kennen, diese Kluft, diesen halben Zentimeter Divergenz
NICHT SEHEN können. Das lastet schwer.
Auch in der Nacht brannten die Strohfeuer, ihr Geruch
begleitete mich. Ich war nun unter Tausenden von Menschen, die Überwältigung erfahren
hatten und, wie ich annehmen darf, mit dieser Verschiebung leben. Aus zeitlich noch ganz
nahe liegenden Quellen bezogen. Aus diesem Krieg in den Neunzigern.
Tovarnik.
Gleich dahinter beginnt Serbien. Mikica schickte mir eine
SMS: "Dobro dosauo u srbiju! Willkommen in der wildnis!"
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