31. Mai 2004

Die Erfindung des „Vaterlandes“ und seines „Verrates“ ... Eine äußerst wirksame politische Pausennummer. Die Konsequenzen des Ersten Weltkrieges und der Weg in die neue Reichsvorstellung der kleinbürgerlichen Nazi-Barbaren (ja genau, die mit der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“) vertieften diesen jungen Trick, Massen auf ein „Vaterland“ einzuschwören, das eigentlich bloß ihre Schlachtbank war.

Die Schlachtbank wurde inzwischen abmontiert. Der Trick ist geblieben. Und wer es aus den Erfahrungen Österreichs von 1914 und 1938 noch nicht kapiert hat, wäre in den letzten 90ern mit einem Blick zu unseren südlichen Nachbarn vielleicht auf die Idee gekommen: Diese Nummer mit dem „Vaterland“ und dem „Verrat“ ist bloß die Verhüllung der Schlachtbank, auf die Politiker, deren Macht bedroht ist, ihr Volk zerren möchten.

Vaterland und Nation. Wie erwähnt, eine ganz junge Konstruktion. Beispiel: In Österreich wird ein Feldherr aus vergangenen Tagen noch heute hoch in Ehren gehalten. Als Schulkind hab ich über ihn zu singen gelernt. Der Prinz Eugen.

Sohn der Olympia Mancini, aus dem Herzogtum Savoyen stammend, das bei Turin lag. Der Prinz bot seine Dienste zuerst Frankreich an, dessen König ablehnte. Also bewarb sich Eugen im Hause Habsburg und bewährte sich über Jahrzehnte vor allem gegen die Osmanen und die Franzosen. Dabei stand er im Felde oft der eigenen Verwandtschaft gegenüber. Was zeigt: im 18. Jahrhundert, also unlängst, waren Adelige keiner Nation verpflichtet, sondern nur einem Herren. Der Italiener hatte es erst beim Franzosen versucht, um dann beim Österreicher zu landen. Fiel das "Vaterland" im 19. Jahrhundert vom Himmel?

Was wir uns unter „Vaterland“ vorstellen mögen, war vorerst eigentlich das Herrscherhaus. Der König mußte in alten Zeiten von Kurfürsten zum Kaiser gewählt werden. Gefolgschaften wechselten, Bundestreue war sehr wesentlich eine Frage der möglichen Vorteile einzelner Fürsten. Landesteile und Völker wurden laufend „verschoben“.

Der Historiker Franz Herre faßte die Überlegungen des Kaisers Karl VI zu einer Kriegssituation des Hauses Habsburgs mit Frankreich Anfang des 18. Jahrhunderts in seinem Buch über den Prinzen Eugen so zusammen:

„Wenn er Ja zu Utrecht gesagt hätte, wären ihm Mailand Neapel, Sardinien und die Niederlande in den Schoß gefallen. Wozu sollte er dann weiterkämpfen? Spanien blieb unerreichbar, Sizilien war schon vergeben -- wozu sollte er dann das Wagnis auf sich nehmen, einem Frankreich, das den Rücken frei bekommen hatte, Auge in Auge gegenüberzutreten? Der Habsburger, wurde erklärt, habe sich auf seine Pflichten als römisch-deutscher Kaiser besonnen, zu denen nicht nur die Verteidigung der Rheinlande, sondern auch die Wiedergewinnung des Elsaß gezählt wurden.“

Also. Vaterland. Schmarren! Die Untertanen hatten sich, oft mehrmals wechselnd, an jeweils jene Herren zu gewöhnen, deren Kriegsglück mächtiger war. Und sie hatten für jeden der Herren zu bluten. Das war die Heimat. Das war das Vaterland.

Dem eigenen Fürsten, fremden Horden oder irgend einer Soldateska gerade ausgeliefert zu sein. Sich den hohen Kriegskosten beugen oder sich selber in einem Kriegshaufen wiederfinden. Wars nicht gerade das, wars die Pest. Und wars nicht die Pest, wars der Hunger. Wars nicht der Hunger, wars die Gegenreformation. Gute Zeiten wird man hierzulande nicht all zu oft gehabt haben. Vor allem nicht lange.

Das blieb schließlich auch die Erfahrung der Arbeiterschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es sei völlig einerlei, von welchem Stiefel man geschunden würde. Solange die Schinderei kein Ende hat. Woraus man damals den interessanten Schluß zog, daß Nation und Vaterland nur eine Fiktion sei. Für jene, die sich in jedem Land gleich schinden lassen müssen.

Genau das ist der Kontext, in dem organisierte Arbeiterinnen und Arbeiter von politischen Opponenten als „vaterlandslose Gesellen“ hingestellt wurden. Das vollzog sich so auf dem Weg in den Ersten Weltkrieg. Das kam so auf dem Weg in den Holocaust. Bei dem die Idee vom "Vaterland", das nicht verraten werden dürfe, von einer besonders grausamen und verbrecherischen Kamarilla hochgehalten wurde.

Ganz erstaunlich, daß nun Menschen erneut und in zeitgemäßer Form die Erfahrung machen: eine Wirtschaft, die Nationen abschafft, liefert immer mehr Menschen großen Nachteilen aus. Und mit der Achtung der Menschenwürde geht es nicht ganz so verläßlich zu, wie man es von den Nachfahren der Nazi-Barbaren erwarten sollte.

Ganz erstaunlich, daß -- wie schon vor hundert Jahren --  ein konservativer Politiker wieder, zumal er Großgrundbesitzer ist, kräht: „Vaterlandsverräter“!


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