3. Mai 2004

Da quatscht wer implizit von einem "guten alten Europa". Wie zeigt man das im Bild? Zufall und der Eissalon in Gleisdorf, wo unlängst der barocke Chevy El Camino stand. Da fand ich gestern einen "alten Europäer" ... zum zweiten Mal:

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Dieser Volvo PV 544 ist freilich nicht, wovon ich erzählen wollte. Sondern? Heißt Politik heute „Spannungsabfuhr durch Komplexitätsreduktion“? Ist so diese permanente Legendenbildung zu verstehen, die sich über mediale Vermittlung auftut? Da haben sich am 1. Mai zehn weitere Länder in den Verband der EU begeben. Und ich dachte, ich hätte schlampig hingehört. Aber unser Bundeskanzler hat tatsächlich von einer „Wiedervereinigung“ Europas gesprochen. Daß also etwas erneut zusammengefügt würde, was vorher einmal vereint gewesen sei? Was mag Kanzler Schüssel damit gemeint haben?

Metternichs Europa nach Napoleons Umtrieben? Kaum. Die alten Imperien? Habsburgs Österreich-Ungarn? Das gerade erst vereinigte Deutschland der Hohenzollern? Das Osmanische Reich oder das Rußland der Romanows? Na, das kann Schüssel nicht gemeint haben.

Als sich die Habsburger auf Serbien warfen und vermutlich spätestens Rußland unterlegen wären, wenn nicht Deutschlands Willem Zwo unserem Franz Josef zum „Weltbrand“ auf die Sprünge geholfen hätte, war das dann Europa? Kaum? Daß diese beispiellose Katastrophe den Nazi-Banditen und ihrer Entourage Ermutigung und Treibsatz war, dem europäischen Fiasko des Ersten Weltkrieges ein weiteres anzufügen, diese furchtbare Aufraffung zu kurz geratener „Herrenmenschen“, daß der Vatikan sich nobel zurück hielt, als zweitausend Jahre Antisemitismus und Pogrome, von Christenmenschen stets neu entfacht, in das Grauen des Holocausts führten, kann ja nicht jenes Europa gewesen sein, das nun eine angeblich „Wiedervereinigung“ erlebt.

Aber vielleicht jenes Nachkriegseuropa, in dem ich aufgewachsen bin, mit all seinen antislawischen Ressentiments, den Abschätzigkeiten östlichen und südlichen Nachbarn gegenüber, den Klischees aus dem Kalten Kriege. Dieses Nachkriegseuropa, in dem wir uns bald auf der „Siegerseite“ sehen durften, mit den neuen Arroganzen, die zeitgemäßen Nationalismus nährten ... welcher Art war denn da das „Gemeinsame“, das nun aufersteht?

Das Schicksal ist einfallsreich, hat mir zum 1. Mai ein Kabinettstückchen vor die Füße geworfen, welches mir bei der aktuellen Standortbestimmung hilft. Denn dieses Jahr hatten drei Menschen aus meiner Verwandtschaft ihren 80. Geburtstag zu feiern, was letzten Samstag Anlaß für ein großes Familientreffen gewesen ist. Nun darf ich in meinem Umfeld eigentlich damit rechnen, daß sich niemand daran stößt, eine Serbin an meiner Seite zu sehen. Und ich würde selbst einen schiefen Blick nicht dulden. Dachte ich. War aber einigermaßen verblüfft, als einer der alten Herren meinem Mädchen nicht nur mit erheblichem Charme-Pegel begegnete, sogar seine Sprachkenntnisse des Slowenischen vorführte, dann aber einschob: „Ich bin schon froh, daß du keine Negerin bist.“ Auf meine Frage, ob er mit Schwarzen ein Problem habe, meinte der erklärte Katholik und Sozialdemokrat: „Ach, die gehören einfach nicht hier her.“

Solange in diesem Europa immer noch Menschen leben, die es nötig haben, jemanden zum „Nigger“ zu machen, sollten wir also mit unseren Heilsversprechen eher zurückhaltend sein.


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