27. April 2004
Ich hätte Ihnen hier gerne ein Bildnis
von einem abendländischen Wert gezeigt. Oder wenigstens von einem
traditionellen Wert. Von einem guten, versteht sich. Was man sich etwa so
vorstellen kann wie ein gutes Buch. Sie wissen, was gemeint ist? Oder: "ein
gutes Glas Wein". Na das wird Ihnen doch geläufig sein ...
Aber obwohl ich in meinem Archiv gar
viele Bilder habe und so manches davon hier gerne zeige, ich fand keines, das uns einen
Eindruck von traditionellen oder europäischen Werten vermittelt. Also behelfe ich mir mit
einem Ersatzbild. Damit sie wenigstens etwas zu Gesicht bekommen. Für den Rest des
Blattes heißt es ... lesen.
In Der Uhrturm, eine
Information für alle Grazer Bürger von der Grazer FPÖ, lautet die Headline der
Ausgabe 3 / April 2004: Hände weg von unserer Landeshymne! FP-Politiker
Gerhard Kurzmann fordert: Dachsteinlied muss unverändert erhalten bleiben!
Mit bemerkenswerten Begründungen:
Eine Modernisierung der steirischen Landeshymne ist ein Anschlag auf
das Heimatgefühl der Steirerinnen und Steirer.
Da rätsle ich nun. Was genau ist ein
Heimatgefühl? Kurzmann weiter:
Man kann nicht aus opportunistischen Gründen traditionelle Werte über Bord
werfen.
Da sind sie wieder. Die
traditionellen Werte. Einigermaßen artverwandt denn noch viel
berühmteren Werten des Abendlandes. Aber! Worin bestehen diese Werte? Oder
genauer: wovon handeln sie? Ich rate:
Achtsamkeit?
Offenheit?
Gastfreundschaft?
Großzügigkeit?
Ist von solchen Qualitäten die Rede?
Oder von:
Genußfähigkeit?
Vielfältigen Kunstfertigkeiten?
Wißbegier?
Gehörten dazu auch Qualitäten wie:
Belesenheit?
Lernfähigkeit?
Friedfertigkeit?
Hm. Ob Herr Kurzmann dergleichen gemeint
hat? Denn die Geschichte des lateinischen Europas, naja, zu den Ländereien
Ostroms haben wir ja bis kommenden Samstag immer noch eine sehr spröde
Haltung, das lateinische Europa also hat eine reiche Tradition schriftlich überlieferter
Debatten, was angemessen sei und was nicht. Was erstrebenswert sei und was nicht. Was ein
Wert sei und was nicht.
Ich bin jetzt unsicher, ob man die Bibel
zu solchen Texten zählen darf, denn die Manuskripte stammen ja doch, ähem, räusper,
weitgehend nicht so sehr aus Europa. Aber.
Zum Beispiel die Vorsokratiker. Bei deren
Ansichten, die uns in Fragmenten überliefert sind, darf man sicher beginnen. Von einer
Erörterung europäischer Auffassungen zu reden.
So war zum Beispiel Heraklit der
Vorstellung, alles was es gibt, sei einer kontinuierlichen Verwandlung unterworfen:
"die Dinge entstehen, verändern sich und vergehen wieder." Ob Herr Kurzmann
davon weiß? Und so geht es dahin, 2.500 Jahre lang, eine rege Erörterung dessen, was man
sich unter Werten Europas vorstellen darf. Ich werde da noch ein wenig in meiner
Bibliothek Nachschau halten.
Darf ich vorerst davon ausgehen, daß wir
folgende Qualitäten gerne für uns in Anspruch nehmen würden, um als gute Europäerinnen
und Europäer dazustehen?
Achtsamkeit.
Offenheit.
Gastfreundschaft.
Großzügigkeit.
Nachsatz zu den oben erwähnten >>Ländereien
Ostroms<<, zu denen wir bis kommenden Samstag immer noch eine spröde
Haltung hätten. Die Grenze zwischen dem einstigen Westrom und der
Einflußsphäre von Byzanz deckt sich ganz zufällig in recht hohem Maß mit jenen
Grenzen, die wir so lange zwischen Westeuropa und dem einstigen
Ostblock anzunehmen gewöhnt waren. Eine bipolare Ansicht unseres Kontinents,
von der sich manche Menschen auch heute nicht recht trennen wollen. Kommenden Samstag, am
1. Mai 2004, werden weitere Stücke dieser Grenze aufgehoben.
Und falls jetzt jemandem ein "Österreich
zuerst!" auskommt, sagen Sie doch einfach "Pardon!" ... wie es sich
gehört, wenn man einen fahren läßt. Denn in sich längst verändernden Verhältnissen
wird wohl jede alte und neue Nation Nachteile erfahren, wenn dort zu viele "Wir
zuerst!" rufen. Das zu begreifen muß man kein Prophet sein. Aber ein bißl
ausgeschlafen ... schon.
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