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Michael Roloff / Schliche #7 Dem Handke auf die Schliche: G] Zunächst möchte ich die Frage nach Handkes möglichem Irrtum aus meiner Sicht, die auch manchmal durch Wut auf den Kerl verdunkelt sein mag, behandeln. Es geht mir dabei um epistomelogisch-psychoanalytisches: Inwiefern ist Handke ein zurechnungsfähiger Berichterstatter. Das Propagandamaschinen es nicht sind, oder auf nur gröbste Art, es nicht sein können, ist ein "given". Desweiteren ist es wohl auch das Konsens, die die Lethargie der Geschichte, auch der kontemporären, auch in den Köpfen sogenannten Intellektuellen hinterlässt, wie diese einen Konsens erreichen wäre auch mal interessant zu untersuchen. Deswegen das Zurückgeworfensein auf die Erstattung des einzelnen, in diesem Fall eines ganz besonders talentierten, überempfindlichen Einzelnen, auch manchmal Propagandist, Breitmacher im Sonnenlicht, Frauenverhauer, parti pri für seine selbst eingestandene Voreingenommenheit für seine Idee eines vereinigten Jugoslawien, der am Schreibtisch vielleicht das tiefschürfendste Verständnis des Mediums Sprache, der Medias schlechthin, wie wir uns miteinander oder schlecht genug verständigen; am Schreibtisch wo er Zeit hat, seine Eindrücke, Überlegungen, sein Wissen, auszubrüten, schlecht oder gut zu überlegen, darzulegen, nur selbst dafür verant-wortlich, oder auch automatisch in Heften notiert. Und das heute eher emotional wie er einst bewusst unterkühlt war. Nicht, dass
er alles bemerkt, wie ich selbst herausgefunden habe, oder fehlinterpretationsfrei sei;
nicht zu sprechen von dem was die Kleinianer "projective identification" nennen,
wobei er, besonders in bös angelegten Momenten, wütend, ganz offensichtlich [anstatt
etwa schleichend unbewusst] was er an sich selbst hasst aus sich heraus stösst und
anderen anhängt: z. B. als er, wütend, während der Kosovo Kampagne den aufgrund seiner
sexuellen Eskapaden schwer angeschlagenen Bill Clinton als "Schmutzfink"
bezeichnete. "Selbst 'n Arschloch", wie man so auf dem Schulhof, ganz richtig,
zurückschimpft. Bis zu dem Moment, als er hinter seinem Tor Nachfolger, seinem disassoziierten Teil Objekt, also eine verdoppelte Disassoziiation beim Schreiben dieser Passage, und vielleicht überhaupt, einem ehemaligen Selbst, hinter dem Tor steht und unerwarteterweise der Ball direkt auf ihn zukommt, als er, das Kaninchen, vor Angst sich nicht bewegen kann, und man sich vorstellt wie der Polizist die Hand auf Blochs Schulter legt und ihn arretiert in dem selben Moment als Bloch - wieder? Déjà-vu? - unerwarteterweise den Ball in die Mitte des Tors, in seinen Bauch geschossen bekommt. Bloch, der dann im Zuchthaus landet, um (witzig!) als einer der drei Proleten in "Über die Dörfer" wieder aufzutauchen. Eine
schöne, eine der schönsten Geschichten über die Sprache und die Tricks, die unser Geist
mit uns spielt. Aber keine wissenschaftliche Abhandlung, sprachlich philosophisch in der
Nachfolge Wittgensteins, nur sorgfältig abgedichtet mit Wissenserkenntnissen, den Leser
in einen Zweifel über die Sprache versetzend. Das man als Schriftsteller so etwas kann,
so viel Macht über die Sprache besitzt, macht einen schon heiss, so ein Einfall; und es
gehört die hardwon maturity der "Niemandsbucht" zu der Selbst-Erkenntnis, wie
viel der Grandiosität man benötigt, sich auf diese Wagnisse einzulassen. Außerdem
entspricht der "Tormann", dem "Innenwelt der Außenwelt der
Innenwelt"-Prinzip: das Ganze ist Ausweis eines subjektiven Geisteszustands des
Autors, der sich auf diese Weise einigermassen was wir so 'objektiv' nennen objektiviert
und eine Leseleinwand liefert, auf die wir projizieren, die unser Unterbewusstes
anspricht, aufsaugt, befriedigt, stört, was immer. Handke ist ja Didaktiker der Sprache.
"Der Hausierer" war/ ist aber noch anspruchsvoller; zu anspruchsvoll
scheinbar. Also, wie
immer, die Sache, irgendwie lauft sie ja, wir wissen aber nicht vollkommen warum und wie.
Ausser in Fällen wie die des ver-rückten Kaspar, oder des Josef Bloch, oder dessen
Fehlurteile auf sprachliche Fehler, auf die sich Wittgensteinsche Sprachprobleme
reduzieren lassen. Also, es sollte auf Herrn Handke, der von diese möglichen Verirrungen
weiss, und sie sogar spielend herstellen kann, seiner eigenen Skepsis wegen [außer, dass
diese ihm mit seinem jetzigen Glauben an die Dreieinigheit abhanden gekommen sind?] ein
gewisser Verlass sein; ein tausendmal grösserer Verlass als von den Schablonenschreibern,
Nachtippern, Gerüchteschiebern - in dieser sich mehr selbsreprodizierenden als surrealen
Medienwelt. Urwaldaffe
bleibt eben Urwaldaffe: nimm den Affen aus dem Wald... Er hat Angst, Hunger, will sich
fortpflanzen, hat Neid auf des Anderen Lust - und aus solcher Sicht kann man dann ein
Stalin, ein Despot, werden. Aber wie und auf welche Weise differenziert er da - das wird uns selten gesagt, wahrscheinlich weil diese Rezensenten sich lieber gar nicht auf diese Kopfarbeit einlassen, sondern den Handke einfach als Phantasten abstempeln möchten, so wie der Kilb anhand eines jugoslawischen Films am 3. Juli 2006 in der FAZ; der Kilb, der schon jahrelang Handkes Sachen nicht ausstehen kann oder einfach nicht versteht, so 15 wenn ich mich an ihn am U.C. Riverside Symposium erinnere, parti pris im schlechten Sinn. Differenziert nicht in dem Sinn, das alle die verschiedenen Blickpunkte, die in diesem Laborstück auftauchen, gleichwertig in einem Gerichtssaal gewertet würden, aber so dass man eine ruhige Übersicht der Verhältnisse - so dreidimensional, bisschen wie in einem Labor, bekommt/mehr/ besser. Es ist ja ein ziemlich ausgeruhtes Stück, obwohl Handke bei der Aufführung, zur Zeit des Kosovo-Kriegs, des Opportunismus beschuldigt wurde von Leuten die sich nicht vorstellen können, dass da drei Jahre Arbeit, Denken und Fantasieren stecken. Oder der eitle Professor Reinhold Grimm, glücklicherweise inzwischen emeritiert, der gar nicht bemerkt hat, dass dies ein Stück über einen imaginären Film, sich der Effizienz des Screenplays bedient. Also, ein Abfallen in eine Dark-Age Verdummung zu eigenen Lebzeiten. Es ist also
ein gewisser, großer, allerdings unmöglich vollkommener Verlass auf ihn - wenn
man sein Werk kennt, es wirklich einmal abgeklopft hat, verfolgt hat vom Anfang bis zur
aktuellen Gegenwart, so wie ich mir die Zeit und den schönen Spass dazu so fast zehn
Jahre lang gemacht hatte, als ich um die Mitte der 90er herum, so am Anfang des
Handkeschen Jugoslawien Schlamassels, aus Mexiko und dem 17en Jahrhundert wieder in dem
damaligen 20ten aufzutauchen und mich zu reorientieren suchte [das leicht desorientiert zu
werden mein Problem, weswegen ich es gelernt dann überzukompensieren, was mich oft in
eine Lage des viel zu gut orientierten bringt, der dadurch dann wieder... und so weiter].
Außer, dass er sich im Vergleich zu - sagen wir zu einem Vollidioten, einem in der Zwischenzeit miserabelsten Schriftsteller überhaupt Salman Rushdie, der ihn bei der ersten Handke-Kampagne einen Idioten nannte, dass Handke sich ganz gut, vielleicht zu gut, in dem Landstrich Dalmatien auskennt. Dem wäre noch eine Bemerkung aus der "Winterlichen Reise" hinzuzufügen, als die endlich Hochzeit reisende zweite Ehefrau ihn fragt, ob er eigentlich alles verneinen möchte! Ja, sich selbst eingestehen zu können, dass man tendenziös sein kann - das ist schon irgendwie groß, jedenfalls viel großer als all die angereisten ausländischen Reporter, die Handke ja besonders hasst. Aber wie steht's mit dem absoluten Skotomisieren? Z. B. jeden Abend geht die Ehefrau aus und der Ehemann bemerkt aber nicht, dass das Pessar nicht in seinem Behälter steckt?
Als Dichter hat Handke ein Konzentrationsvermögen auf lange Dauer, das zweitbeste mir bekannte in der deutschen Nachkriegsliteratur - aber bei den "Jahrestagen" war's mit Uwe Johnsons Konzentrationsvermögen - ein Buch in seinem Kopf ein Jahr lang vorzubereiten und es dann nieder zuschreiben aus. Sprachlich sehr komplexe Bücher, schon vorbei, aus. Handke stützt sich auf Notizbücher, auf Photos, ob so sehr wie Hermann Lenz, weiss ich nicht. Als Fabulierer, z. B. "Lucie im Wald mit den Dingsda", auch das märchenhafte in der "Niemandsbucht", kommt er mir unbeholfen vor; teilweise mit Ideen, an den Haaren herbeigezogen, beispielsweise von Enzensbergers Bürgerkriegsanalyse oktroyiert, eines Kampf Deutschen gegen Deutsche in der "Niemandsbucht". Er entpuppt sich als einer der genauesten Realisten überhaupt in "Der Bildverlust" in der [für mich vorauszusehenden] Beschreibung der Nachwirkungen, Überbleibsel des berühmten Orkans der Nordfrankreich vor ca. 10 Jahren verwüstete; auch den Chaville Foret. [Ich liess ihm, zum Wiederaufbau, einen Schuhkarton voll mit Nordwestzapfen, auch vom verrückten Affenbaum schicken]. Das hat's an sich, was sein Spürsinn so in dem Wurzelwerk eines gefällten Baum sieht. Als Liebhaber ist er närrisch wie ein jeder, der sein Maultier mit Nofretete verwechselt. Worum geht es? Dass Handke eine andere Interpretation hat? Dass er [teilweise] auf anderes auf seinen Reisen aufgepasst hat [schielt zur Seite], als die ausgerichteten westlichen Reporter, als sie dann sich dann auf einen Ausrichtungskonsens abstimmten; dass er relativiert in dem er, als Interpret, also nicht als reiner Berichterstatter, ein eigenes historisches Verständnis, Interpretation von Zugängen vorlegt; dass er Herrn Milosevic zu freundlich nahe gestanden habe? Ja, und dass er, wenn er seinem parti pris (in seiner Einseitigkeit) auf die kindische verwundetste Art mit Wutausbrüchen und Ausfälligkeiten großartigster Garnitur ["stopft euch eure Leichen.."] loslässt, Luft macht, was ihn selbst, den Herrn Tourette, ja scheinbar auch verwundert, die er dann zurückzieht, oder sich brav entschuldigt. Wenn man beispielsweise "Neuntes Land" oder die Überlegungen am Anfang der "Winterlichen Reise" liest, kann man ja durchaus sagen: "Ich stimme mit Handke nicht überein. Slowenien ist damit nicht verloren," "es gab keine Serbenhetze in der Presse" - aber man kann ihm kaum entgegenhalten, dass er seinen Standpunkt, seine Motive, seine Lieben und der Liebe ihr Gegenteil nicht ehrlich und auf ausreichende Weise erklärt, er macht dem Leser seinen Standpunkt ganz offen deutlich - und seine Gründe, wie er zu diesen Standpunkten und Entscheidungen gekommen ist. Das, was eigentlich nicht mehr ist als Meinungsverschiedenheiten, zwar ziemlich fundamentaler Art, zu einem (drei) grossen Streitigkeiten führen würde - wer hätte das gedacht ["What was that about?" wird man in einigen Jahren fragen.] [Start] |