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Jetzt aber in media res. Zu den in der "Welt", "FAZ",
"Zeit", "Le Monde", "Libération", "Spiegel", und
vielen anderen Feuilletons erschienenen Kontroversen des Jahres 2006 [APPARAT] über
Handkes Begräbnisbesuch, die Affaire Bozonnet, den Heine Preis. Eine Wiederkunft anderer
Art, zum dritten Mal so ungefähr oder mehr, der Affaire Handke-Jugoslawien; diesmal
Handke und Milosevic im Vordergrund, im Hintergrund das aus dem Staatenbund ausscheidende
Montenegro.
F] Die springenden, wunden, langweiligen, blöden Punkte um die es hier geht sind
ungefähr die folgenden:
F-1] = Ist Handke irr? Oder nur
aufmüpfig und aufs Sonnenlicht-blockieren aus? Aber was, wenn er trotz aller miserablen
Manieren und einem nicht empfehlenswerten Charakter recht hat? Was denn, dann? Bekommt er
dann wenigstens den König-Lear-Preis? Würden die Wortträger des Konsens es je zugeben,
dass sie die Sache falsch machten, oder würden sie so kleinlich narzisstisch sein wie der
Handke es auch sein kann? Don't be on it. Was, wenn er sich wirklich vollkommen
verirrt, vernarrt hat? Inwiefern beeinträchtigt dies sein, eines von Anfang an
autokratisch dominiertes, kontrolliertes Werk? Inwiefern ist es dominanter als das
Sprachliche?
F-2] Warum eigentlich und wie entstand der Konsens, dass hauptsächlich die Serben, unter
Anleitung von Milosevic und seinen Schergen, an der Segregation schuldig sind? Ich
meine, die Diskussion, diese Schimpfereien, finden glücklicherweise nur unter so
genannten Intellektuellen statt; von denen kennen die meisten kaum das Werk - vielleicht
seinen Namen, z. B. als ein Österreicher hier in Seattle, auch auf der Uni, sogar in der
miserablen Germanistik. Er ist eine Briefmarke, Namebrand, eine verkaufbare Ware, zum
einladen, eine schnell zu vergessende unter ewig neuen, um Namen wie den Unseld-Preis
zu veredeln. Obwohl Handke doch Unseld in der "Linkshändigen Frau" und
"Niemandsbucht" als reichlich unselig charakterisiert hat: also es besteht die
Möglichkeit, dass er wenigstens einen sehr grossen Teil der Welt wegen Rufmordes anklagen
könnte z. B. Krähenfresser in Wien, der zugibt, ihn nicht gelesen zu haben aber
Mitläufer der Horde ist die in Hamsun, Céline artige Schablonen assoziieren: von Denken
kein Rede, wobei mir einfällt das Céline, ein ernsthafter Armenarzt in Paris, ein einem
Kopfschuss im Ersten Weltkrieg leidender, mit unsäglichen Kopfschmerzen. Sein
Antisemitismus, z. B. beinträchtigt "Voyage au bout de la Nuit" für mich nicht
im Geringsten. So wie man so anfängt zu urteilen landet man in einer Meinungsdiktatur.
Soll ich nichts mehr im NYRB lesen weil diese Leute die Präsidentschaftskandidatur
Senator McCains oder General Wesley Clarks unterstützen? Beide doch Kriegverbrecher, wenn
nicht erster wenigstens zweiter Garnitur??
F-3] inwiefern macht Handkes sympathisierendes Urteil, der böseste der Wölfe sei eine
tragische Figur, den so sympathiesierenden unlesenswert, verbannt ihn vom Hof und der
Comédie Francaise, und macht ihn des Heine Preises unwürdig, bemittleidungswürdig? [Ich
selbst habe eher mulmige Gefühle über M. seit er in Belgrad, zwar post mortem, und ohne
sich verteidigen zu können, an dem Mord seines Vorgängers und von dem
serbischjugoslawischen Kandidaten/ Aussenminister schuldig befunden wurde.] Vielleicht
trotz all dem tragische Figur? Der unlösbare Konflikt zwischen den von außen
unterstützten Kosovo Albanern und der serbischen Minorität? Ich erwarte den Roman, den
Handke in der kroatischen Zeitschrift "Globus" annoncierte - aber dort zum
erstenmal als noch ein Grund seines Begräbnis-Besuches zitiert, oder ist das ihm gerade
so nur im nachhinein eingefallen? Also es strotzt beim Handke in der Zwischenzeit vom
Widersprüchlichen, jedenfalls am Rand des sturen immer wieder auftauchenden Sympathie
für M., und überhaupt: es ist jetzt so wie: der Kaiser hat besseres zu tun als sich um
Widersprüche zu kümmern. Zur Zeit der "Dörfer" [1981] hieß das noch:
"Aber werde ich morgen mich noch daranhalten, an was ich heute versprochen habe"
[so ungefähr] was, auf diese Weise formuliert, dann den Reiz der Wahrheit hat.
Ist Milosevic irgendeine Ersatzfigur für den so äußerst wichtigen Großvater Sivec,
intrapsychisch vielleicht? Als einer der Groß-Jugoslawien erhalten wollte? Großvater
auch Autokrat, den Mägden die Hand unter den Rock bis in die späten 80er Jahre seines
Lebens, wie reizend eigentlich in dieser grässlichen Zeit der Diktatur einer neuen
sexuellen Repression durch "sexual harassment" - gleichzeitig mit der kompletten
nichts mehr bedeutenden Überhandnahme von Pornographie, was wenigstens die Ehrlichkeit
des obszönen Kerns der Welt an sich hat.
Warte auf
den Roman wie zu einer Zeit auf ein wirklich heisses Mädchen. Ihre Schreie dann! Aber es
kommt meinem irgendwie Brechtchen verberlinerten + 25 Jahre NY + 5 L.A., 12 trübe
soft-core nepotistisch-korrupten Seattle Jahre - Zynismus vor, dass Milosevic nur ein
wenig kleinerer Gauner war als die ganz grossen, die ihn da ausgespielt haben, in dieser
beinahe vollkommen vergaunerten Welt. Milosevic als mythische Figur, so was
Tannhäuserartiges? Die größte letzte Amsel auf dem Amselfeld? Dass Handke zu
mythisieren begann, fiel mir zum ersten mal bei der "Linkshändigen Frau" auf
und ich verstehe, glaube ich, das dass wenigsten für ihn eine Erweiterung des Herzens in
jedem Sinne war, etwas gesundes, z. B. "Langsame Heimkehr." Sonst hatte ich und
habe ich immer noch große Zweifel, werde Dobermannaufmerksam wenn es anfängt mythisch zu
raunen, in Deutschland sowie hier. Aber Mythos fungiert in der Gesellschaft so ähnlich
wie der Traum beim Individuum, als integrierendes des zuviel an Erfahrung, konzentriert
Erfahrungen auf Sinn. Deswegen: wer die Erzählung der Wirklichkeit kontrolliert,
kontrolliert auch die Wirklichkeit, bis dass die Wirklichkeit dann manchmal schreit wie
ein junges, heißes, vergewaltigtes Mädchen, wie jetzt im Fall von Bush/Cheney Version
der Wirklichkeit.
Ich selbst fühle mich zu schlecht informiert, um über M. ein Urteil zu fällen. Er hat
sich gut verteidigt in Den Haag. Ich habe da nicht genug mitbekommen. Wie gesagt: das
einzige was mich ziemlich mulmig macht, sind die Belgrader Urteile: vielleicht erkennt
Handke in diesem Fall auch das von ihm vorgezogene Belgrader Gericht nicht an? Um nicht
ins Unwissen/Ungewisse auszuweichen: im Fall von H., besonders nachdem ich zwei der besten
psycheanalytische Studien - von Fritz Redlich die, und die von Ted Dorpat studierte,
besteht weder Zweifel, noch finde ich "das Böse" irgendwie mysteriös. Ja, und
auch, das Handke "rund um das Tribunal" geschweift ist: ich habe interressantes
auch da in der Zeitschrift Novo gelesen von einem Bulgarischen Berichterstatter ueber
die Gerichtsverhandlungen... moechte/ mochtete Handke in diesem Fall seine
Voreingenommenheit sich nicht beintraechtigen lassen?
Aber ein Rauner ist Handke auf keinen Fall. Als Künstler ist er Werksmann, Zimmermann wie
ich ja vor ungefähr 20 Jahren bei der Zerlegung des Screenplays von "Der Himmel
über Berlin" herausgefunden habe, woher die verschiedenen Teile dieses
Assemblage dann stammen; und einiges neue auch, "Als das Kind..." und so.
Ich hab an Handke, in dieser ganzen Angelegenheit, nur eins auszusetzen: die
Unterschätzung und Abwesenheit an Sympathie für die zentrifugalen, individuell
nationalistischen Kräfte [außer im EINBAUM Stück, wo alles widersprüchliche abgelegt
ist, zur Sprache kommt]; denn er hat meines Erachtens Recht, dass dieses
Auseinanderstreben von der USA, der EU und den ganzen nachkaltkriegerischen
Kapitalinteressen unterstützt wurde. In dem NZZ Interview beweist Handke sich,
wundersamerweise, für mich, den ihn als einen den Handel hassende in Erinnerung hat, als
ökonomischem Deterministen. In "Unter Tränen fragend" bemerkt er wie ihn der
Kleinhandel während des Embargos glücklich macht. Die Fahnen der "Dörfer"
wurden mir [von dem Handke der wusste wie ich immer Geld für den Verlag brauchte]
geschickt mit dem Geleitwort: "Nichts fürs Geschäft." War's auch nicht. Sechs
Monate Arbeit und dafür bekam man dann insgesamt $ 650, nachdem man noch ungefähr $ 250
dafür ausgegeben hatte einen amerikanischen Verleger zu finden. Eigentlich macht dem Gros
der 68er die Globalisierung ja nichts aus, beispielsweise dass ungefähr 10 Millionen
meiner mexikanischen Freunde ihren Bauernhof verloren und hier Gärtner und so wurden.
Es fällt mir noch ein, ja, in einem der Interviews schiebt Handke die Schuld auf einige
von Milosevics' Untertanen, es scheint H. etwas daran zu liegen das M. unschuldig sei,
oder wenigsten tragisch sei, etwas, was sein Urteil, in diesem Fall, beeinträchtigt. Man
gibt an, als Zeuge geladen worden zu sein, obwohl man doch längst vorher, in
"Literaturen" erklärt hat, warum man nicht als Zeuge erscheinen wird. Das
interessanteste ist ja immer das Widersprüchliche, warum man etwas verneinen,
skotomisieren muss. Dass es dann eine ganze Rotte gibt die nichts besseres einfaellt
als Handke's Nase in den von ihnen wahr-geglaubten Mief zu stecken, spricht eigentlich
gegen die Rotte... Die "Steck-seine-Nase-in-die Windeln Rotte"...
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