van.at: literatur (beiträge)

• Michael Roloff / Schliche #6

Dem Handke auf die Schliche:
Stempelung einer Briefmarke zu Lebzeiten
=VI=

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Jetzt aber in media res. Zu den in der "Welt", "FAZ", "Zeit", "Le Monde", "Libération", "Spiegel", und vielen anderen Feuilletons erschienenen Kontroversen des Jahres 2006 [APPARAT] über Handkes Begräbnisbesuch, die Affaire Bozonnet, den Heine Preis. Eine Wiederkunft anderer Art, zum dritten Mal so ungefähr oder mehr, der Affaire Handke-Jugoslawien; diesmal Handke und Milosevic im Vordergrund, im Hintergrund das aus dem Staatenbund ausscheidende Montenegro.  
 
F] Die springenden, wunden, langweiligen, blöden Punkte um die es hier geht sind ungefähr die folgenden:  
 
F-1] =
Ist Handke irr? Oder nur aufmüpfig und aufs Sonnenlicht-blockieren aus? Aber was, wenn er trotz aller miserablen Manieren und einem nicht empfehlenswerten Charakter recht hat? Was denn, dann? Bekommt er dann wenigstens den König-Lear-Preis? Würden die Wortträger des Konsens es je zugeben, dass sie die Sache falsch machten, oder würden sie so kleinlich narzisstisch sein wie der Handke es auch sein kann? Don't be on it.  Was, wenn er sich wirklich vollkommen verirrt, vernarrt hat? Inwiefern beeinträchtigt dies sein, eines von Anfang an autokratisch dominiertes, kontrolliertes Werk? Inwiefern ist es dominanter als das Sprachliche?  
 
F-2] Warum eigentlich und wie entstand der Konsens, dass hauptsächlich die Serben, unter Anleitung von  Milosevic und seinen Schergen, an der Segregation schuldig sind? Ich meine, die Diskussion, diese Schimpfereien, finden glücklicherweise nur unter so genannten Intellektuellen statt; von denen kennen die meisten kaum das Werk - vielleicht seinen Namen, z. B. als ein Österreicher hier in Seattle, auch auf der Uni, sogar in der miserablen Germanistik. Er ist eine Briefmarke, Namebrand, eine verkaufbare Ware, zum einladen, eine schnell zu vergessende unter ewig neuen, um Namen wie den Unseld-Preis zu veredeln. Obwohl Handke doch Unseld in der "Linkshändigen Frau" und "Niemandsbucht" als reichlich unselig charakterisiert hat: also es besteht die Möglichkeit, dass er wenigstens einen sehr grossen Teil der Welt wegen Rufmordes anklagen könnte z. B. Krähenfresser in Wien, der zugibt, ihn nicht gelesen zu haben aber Mitläufer der Horde ist die in Hamsun, Céline artige Schablonen assoziieren: von Denken kein Rede, wobei mir einfällt das Céline, ein ernsthafter Armenarzt in Paris, ein einem Kopfschuss im Ersten Weltkrieg leidender, mit unsäglichen Kopfschmerzen. Sein Antisemitismus, z. B. beinträchtigt "Voyage au bout de la Nuit" für mich nicht im Geringsten. So wie man so anfängt zu urteilen landet man in einer Meinungsdiktatur. Soll ich nichts mehr im NYRB lesen weil diese Leute die Präsidentschaftskandidatur Senator McCains oder General Wesley Clarks unterstützen? Beide doch Kriegverbrecher, wenn nicht erster wenigstens zweiter Garnitur?? 
 
F-3] inwiefern macht Handkes sympathisierendes Urteil, der böseste der Wölfe sei eine tragische Figur, den so sympathiesierenden unlesenswert, verbannt ihn vom Hof und der Comédie Francaise, und macht ihn des Heine Preises unwürdig, bemittleidungswürdig? [Ich selbst habe eher mulmige Gefühle über M. seit er in Belgrad, zwar post mortem, und ohne sich verteidigen zu können, an dem Mord seines Vorgängers und von dem serbischjugoslawischen Kandidaten/ Aussenminister schuldig befunden wurde.] Vielleicht trotz all dem tragische Figur? Der unlösbare Konflikt zwischen den von außen unterstützten Kosovo Albanern und der serbischen Minorität? Ich erwarte den Roman, den Handke in der kroatischen Zeitschrift "Globus" annoncierte - aber dort zum erstenmal als noch ein Grund seines Begräbnis-Besuches zitiert, oder ist das ihm gerade so nur im nachhinein eingefallen? Also es strotzt beim Handke in der Zwischenzeit vom Widersprüchlichen, jedenfalls am Rand des sturen immer wieder auftauchenden Sympathie für M., und überhaupt: es ist jetzt so wie: der Kaiser hat besseres zu tun als sich um Widersprüche zu kümmern. Zur Zeit der "Dörfer" [1981] hieß das noch: "Aber werde ich morgen mich noch daranhalten, an was ich heute versprochen habe" [so ungefähr] was, auf diese Weise formuliert, dann den Reiz der Wahrheit hat.  
 
Ist Milosevic irgendeine Ersatzfigur für den so äußerst wichtigen Großvater Sivec, intrapsychisch vielleicht? Als einer der Groß-Jugoslawien erhalten wollte? Großvater auch Autokrat, den Mägden die Hand unter den Rock bis in die späten 80er Jahre seines Lebens, wie reizend eigentlich in dieser grässlichen Zeit der Diktatur einer neuen sexuellen Repression durch "sexual harassment" - gleichzeitig mit der kompletten nichts mehr bedeutenden Überhandnahme von Pornographie, was wenigstens die Ehrlichkeit des obszönen Kerns der Welt an sich hat.  

Warte auf den Roman wie zu einer Zeit auf ein wirklich heisses Mädchen. Ihre Schreie dann! Aber es kommt meinem irgendwie Brechtchen verberlinerten  + 25 Jahre NY + 5 L.A., 12 trübe soft-core nepotistisch-korrupten Seattle Jahre - Zynismus vor, dass Milosevic nur ein wenig kleinerer Gauner war als die ganz grossen, die ihn da ausgespielt haben, in dieser beinahe vollkommen vergaunerten Welt. Milosevic als mythische Figur, so was Tannhäuserartiges? Die größte letzte Amsel auf dem Amselfeld? Dass Handke zu mythisieren begann, fiel mir zum ersten mal bei der "Linkshändigen Frau" auf und ich verstehe, glaube ich, das dass wenigsten für ihn eine Erweiterung des Herzens in jedem Sinne war, etwas gesundes, z. B. "Langsame Heimkehr." Sonst hatte ich und habe ich immer noch große Zweifel, werde Dobermannaufmerksam wenn es anfängt mythisch zu raunen, in Deutschland sowie hier. Aber Mythos fungiert in der Gesellschaft so ähnlich wie der Traum beim Individuum, als integrierendes des zuviel an Erfahrung, konzentriert Erfahrungen auf Sinn. Deswegen: wer die Erzählung der Wirklichkeit kontrolliert, kontrolliert auch die Wirklichkeit, bis dass die Wirklichkeit dann manchmal schreit wie ein junges, heißes, vergewaltigtes Mädchen, wie jetzt im Fall von Bush/Cheney Version der Wirklichkeit.  
 
Ich selbst fühle mich zu schlecht informiert, um über M. ein Urteil zu fällen. Er hat sich gut verteidigt in Den Haag. Ich habe da nicht genug mitbekommen. Wie gesagt: das einzige was mich ziemlich mulmig macht, sind die Belgrader Urteile: vielleicht erkennt Handke in diesem Fall auch das von ihm vorgezogene Belgrader Gericht nicht an? Um nicht ins Unwissen/Ungewisse auszuweichen: im Fall von H., besonders nachdem ich zwei der besten psycheanalytische Studien - von Fritz Redlich die, und die von Ted Dorpat studierte, besteht weder Zweifel, noch finde ich "das Böse" irgendwie mysteriös. Ja, und auch, das Handke "rund um das Tribunal" geschweift ist: ich habe interressantes auch da in der Zeitschrift Novo gelesen von einem Bulgarischen Berichterstatter ueber die Gerichtsverhandlungen... moechte/ mochtete Handke in diesem Fall seine Voreingenommenheit sich nicht beintraechtigen lassen?
 
Aber ein Rauner ist Handke auf keinen Fall. Als Künstler ist er Werksmann, Zimmermann wie ich ja vor ungefähr 20 Jahren bei der Zerlegung des Screenplays von "Der Himmel über Berlin" herausgefunden habe, woher die verschiedenen Teile dieses Assemblage dann stammen; und einiges neue auch, "Als das Kind..." und so.  
 
Ich hab an Handke, in dieser ganzen Angelegenheit, nur eins auszusetzen: die Unterschätzung und Abwesenheit an Sympathie für die zentrifugalen, individuell nationalistischen Kräfte [außer im EINBAUM Stück, wo alles widersprüchliche abgelegt ist, zur Sprache kommt]; denn er hat meines Erachtens Recht, dass dieses Auseinanderstreben von der USA, der EU und den ganzen nachkaltkriegerischen Kapitalinteressen unterstützt wurde. In dem NZZ Interview beweist Handke sich, wundersamerweise, für mich, den ihn als einen den Handel hassende in Erinnerung hat, als ökonomischem Deterministen. In "Unter Tränen fragend" bemerkt er wie ihn der Kleinhandel während des Embargos glücklich macht. Die Fahnen der "Dörfer" wurden mir [von dem Handke der wusste wie ich immer Geld für den Verlag brauchte] geschickt mit dem Geleitwort: "Nichts fürs Geschäft." War's auch nicht. Sechs Monate Arbeit und dafür bekam man dann insgesamt $ 650, nachdem man noch ungefähr $ 250 dafür ausgegeben hatte einen amerikanischen Verleger zu finden. Eigentlich macht dem Gros der 68er die Globalisierung ja nichts aus, beispielsweise dass ungefähr 10 Millionen meiner mexikanischen Freunde ihren Bauernhof verloren und hier Gärtner und so wurden.  
 
Es fällt mir noch ein, ja, in einem der Interviews schiebt Handke die Schuld auf einige von Milosevics' Untertanen, es scheint H. etwas daran zu liegen das M. unschuldig sei, oder wenigsten tragisch sei, etwas, was sein Urteil, in diesem Fall, beeinträchtigt. Man gibt an, als Zeuge geladen worden zu sein, obwohl man doch längst vorher, in "Literaturen" erklärt hat, warum man nicht als Zeuge erscheinen wird.  Das interessanteste ist ja immer das Widersprüchliche, warum man etwas verneinen, skotomisieren muss.  Dass es dann eine ganze Rotte gibt die nichts besseres einfaellt als Handke's Nase in den von ihnen wahr-geglaubten Mief zu stecken, spricht eigentlich gegen die Rotte... Die "Steck-seine-Nase-in-die Windeln Rotte"...


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