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• Michael Roloff / Schliche #4

Dem Handke auf die Schliche:
Stempelung einer Briefmarke zu Lebzeiten
=IV=

D-1] Die Korrespondenz, wie Handkes Schrifttum, war verblüffend beruhigend, in keinem Verhältnis zu stellen mit der Person, ihrem oft ungewöhnlichen Benehmen. Das Werk, besonders wenn man sich mit ihm als Übersetzer oder Regisseur befaßt, bringt durch Handkes speziellem Verhältnis zur Sprache, mich jedenfalls, in ganz gewisse, einigermassen nachzuverfolgende, und spezifisch erklärliche, also eigentlich nicht so mysteriöse Geisteszustände, weil er, ein Romantiker, ein sehr konkret sprachlicher musikalischer, konzentrierter, die Welt leicht machenden Effekt hat. Er wohnt [oder wohnte] im innersten Inneren von Naom Chomskys Syntax Maschine [welches Wissen mich bis jetzt nicht dazu gebracht hat dem liebe Naom zum lesen wenigstens des Kaspar zu verführen]; weil, da er sich ja scheinbar selbst, und auch den Leser, immer wieder aus der Angst und Depressionen heraus zu schreiben, durch sein Schrifttum, Satz für Satz - ihre Summa auf ungewöhnliche, auf tiefer-greifende Art Künstler als Surrogat, nicht nur mit "mot" und Satz, "juste" - aber schon einer Summa derer auch - weil es bessere Medizin als all andere Antidepressiva, er der Chef Arzt der Sprache überhaupt, erst deprimierte es ein wenig, dann als man weiterlas  bemerkte  man wie der Autor sich und auch mich als Leser aus der Depression herausschrieb, eine Impfung. Weil er es mit einigen Stücken ("Bodensee", "Stunde", "Dörfer", "Vormund"), und ganz besonders mit "Der Kunst des Fragens" - ja "Bozo" Bozonnet, wie wir ihn in New York nennen, Sie haben dass größte Theaterstück der letzten 50 vielleicht 100 Jahren, ein wahres Dramaspiel, von Ihrem Spielplan abgesetzt, wahrscheinlich gar nicht mal, oder nur ganz oberflächlich gelesen als es von der Comédie Francaise in dem Spielplan angenommen wurde. So geht's ja bei diesen nur Namen aber nicht mal Tierhändlern zu - den erlebenden Zu- und Mitschauer in den paradiesischen Zustand der Wiedergeburt bringt, alle Sinne säubert, auf ein paar Stunden sind alle Sinne neugeboren, wahre Verwunderung auslöst, sehr nah der dunklen Aufklärung, nicht wahr? Wo man auf andere also blöde Art in den Zustand des Rätselns versetzt wird. Und das sonst von Ideen strotzende Gehirn wird erweitert, wird empfänglicher, die gesäuberten Sinne sehen, fühlen, schmecken, riechen genauer. Eine Übertragung, wenn man so will, vielleicht von Handkes eigener Empfindsamkeit, seines Wesens in das des Lesers, Zuschauers durch eine sehr objektive Arbeit der Funktion der Sprache. 

 

Sehr grundlegende Sachen passieren dort auf einer Ebene die Schriftsteller im allgemeinen nicht behandeln, nicht erreichen, auf der sie nicht arbeiten, mehr all das Hineinprojizieren des eigenen. Er ist ein Idiot, in besten wie auch manchmal dem unangenehmesten Sinn des Wortes

Idiot is a word derived from the Greek ?d??t??, idiotes ("layman," "person lacking professional skill," "a private citizen," "individual"), from ?d???, idios ("private," "one's own"). In Latin the word idiota ("ordinary person, layman") preceded the Late Latin meaning "uneducated or ignorant person." Its modern meaning and form dates back to Middle English around the year 1300, from the Old French idiote ("uneducated or ignorant person"). The related word idiocy dates to 1487 and may have been analagously modeled on the words prophet and prophecy. The word is a cognate in German, Serbian, Slovenian, and Swedish. http://en.wikipedia.org/wiki/Idiots

 Und Savant, geuebter,  und seine Kunst mit dem Bleistift ist sein Schutzengel - wenn man aber doch einen Maulkorb für seine Schnauze hätte, die schon roher ist als die der Berliner; oder etwas das diesen innere Jauchegrube saubern, lindern koennte??? - Nicht nur dörfischer Art, aber auch wahrscheinlich von dem bösen Vorbild des gehassten und schlagenden Berliner Stiefvater beeinflusst. “as man am meisten hasst, hasst man oft am moisten an sich selbst!

Die da das Lesen können [er ist ja kein Obscurer, wie viele der Moderne] treffen jetzt auf einen lebenden Klassiker - aber von der medialen Sicht ist er, der doch lebende Klassiker, schon so etwas wie eine Briefmarke; Modepuppe, woran er ja selbst schön mitgearbeitet hat, ja, und was bedeutet das schon, wem macht's was aus, inwiefern hat sich die Sprache, DIE Sprache, z. B. der Rezensenten, Journalisten, verbessert? Ja, nicht mal dem Gros des Germanistenvolkes bedeutet es einen Dreck, lesen nur Sekundäres, oder erstmals, das wirklich modern-radikale, wo Handke und Ezra Pound übereintreffen, jedenfalls bei mir, Aktivist der Sprache, gehört jetzt ja nur seiner eigenen Zeit an. Die Lösungen die er findet für allgemeine, große formale literarisch Probleme, in meisten Fällen, kommen mir Modern vor. Aber nicht immer gleich auf Anhieb erreicht er dieses Niveau, oft eher tastend, dann manchmal allzu virtuos. Solche formal geglückten Ereignisse ["Versuch über die Jukebox", ...geglückten Tag", "Don Juan...", "Nachmittag eines Schriftstellers", "Die Abwesenheit"] stimmen überein mit Adornos Idee des Progressivismus der Kunst der mitinnen der Tradition schöpft.  

Nur hinkt es da manchmal am "state of the art" der Psychologie bei Handke, besonders der des Verständnis der Dimensionen des Narziss, da ist er kein Schritt weiter als Freud [der diese Selbstbezogenheit auf die Abwesenheit anderer spiegelnder Wesen zurückführt, so dass Handke oft nur der eigene, sich Selbstliebende - überempfindliche! - Spiegel übrigbleibt [z. B. das kurze Recit über Narziss in "..einer dunklen Nacht"]; wo in diesem Fall, Handke mit seinen persönlichen Unbeholfenheiten, seinen Schwierigkeiten mit Menschen auszukommen [aus dem ZEIT-Interview erfährt man - wenn das nicht Sandstreuen ist - dass er jetzt nicht einmal mehr die Freunde auf die Waldstöbereien auf Pilze im Chaville-Wald mitnimmt!], eben um so mehr mit seinen auf Kontakt sehnsüchtigen "letters in a bottle" - Schriften auf Leser angewiesen ist] - ja hier hinkt Handke schwer hinter Kohut und der “self psychology” her, und ein Verständnis dessen wäre vielleicht ein Weg von dem Jähzorn. Woher und welcher Art die Wunde aus der er angibt zu schreiben ["Kunst des Fragens"], wer macht sich, hat sich darüber Gedanken gemacht fragt jemand der sich gerne in dem Delta des Gegenstücks, "Das Reich der Antworten" ausbreitet, oder warum das meiste was er schreibt auf der rein sprachlichen Ebene etwas heilsames hat, so dass es eine Freude macht im Zeitalter Handkes zu leben. Wenigstens dieses -  trotz der, wie schon öfters bemerkten, gelegentlichen Handkeschen Nervensäge. Nur sollte er es vielleicht doch mit den Versuchen uns, wen immer, mit 350,000 wortigen Wittiko-Monstern zu beeindrucken, zu übertrumpfen, bleiben lassen. Handke hatte schon ganz recht als er Gamper sagte, dass so Sachen von 30 bis 40 tausend Wörtern [er spricht ja nur von und über sich selbst] noch möglich seien, und kann solche, als Teile, Fertigstücke [auch so eine Karton-Arbeit!] dann auch ganz großartig multi-dimensional zusammenflechten in eine “Niemandsbucht.” 

Und wem, nur dem Baldrian [?], schon nicht, welchem guten in ihm weilenden Wesen, haben wir es zu verdanken, diese große Veränderung nach, während der grossen Krise des ersten Pariser Aufenthalts [der plötzliche Ausbruch der Liebe aus der alexithemischem verwundeten Zustand] in den frühen 70er Jahren – "Wahre Empfindung", Blaues Gedicht, Nonsens & Happiness, "Gewicht der Welt", mit Tachycardia und Krankenhaus - überreizter verwundeter Narziss - so daß er nicht mehr so der Angst ausgesetzt ist wie am Anfang, sich nicht mehr als Selbstmordkandidaten präsentiert; dass er nicht mit der ungeheuren Angst spielt um sie immer wieder zu besiegen - darauf kommt/kam es ja an ! - ganz früh in der Kindheit, unter den besonderen Zuständen, kam es ja an seitdem der Stiefvater das Mutter-Liebeskind Idyll zur Hölle machte, auch intrapsychisch besiegbar macht für den wirklich dem Erlebnis des Lesens ausgesetzten Leser, um dann stolz vorzeigen zu können - den Sieg! Der einstige Fehl-Angeber: "Ich bin der Neue Kafka" [1966] ist jetzt: "Ich bin der Anti-Kafka!" Und das stimmt schon bei dieser Freudensprache. Und dass die Brillen hellere geworden sind. - Ich hab doch Monate verbracht mit der Literatur über Handkes psychosomatischen Befund des zeitweiligen nur Schwarz-Weiss-Sehens, des Ausscheidens der Farbskala, des teilweise Farbblindsein, deswegen wohl auch kein Führerschein, das im Busfahren, oder auf Chauffeur angewiesen sein - und die schönen Beobachtungen der Mitfahrer auf diesen Touren. Er selbst hat ja [siehe "Die Lehre der St. Victoire"] auch nach Erklärung gesucht, scheinbarer Einzelfall in dieser nicht leicht übersehbarer Familie von "kollernden Käserädern" ["Über die Dörfer"]. Das es mit der Überempfindlichkeit zusammenhängt ist anzunehmen und der Wut und mit was noch? Aber woher stammt diese Ueberempfindlichkeit? Das Ueberhandnehmen der Empfindungen, das durchbrechen der Schwelle??

Kopfschmerzen erwähnt er nicht  unter dem Haufen von ihn plagenden Mucken - nicht das sich irgendjemand unter all diesen angeblichen "Lesern" darüber Gedanken macht was da an hunderte von Gründe angegeben wurden für das Ermüden, für das ewig Zornige, wütend sein, phänomenologisch ausgezeichnet beschrieben in dem "Versuch über die Müdigkeit": z. B. Insomnia, eine der Quälereien, der er in der Kindheit ausgesetzt war, aber schon das Richtige für einen zum Schreibem verdammten Napoleon der sich so groß, bis auf weniges - wo die Eitelkeit dann doch was vertuscht, vollkommen nackt ausziehende Handke der ja einer der leichter zu verstehenden übersichtlichsten Regentropfen zur eigenen Lebzeiten sein muss, transparent, bis auf ganz wenige Sachen die er dann zu eitel ist direkt uns zu sagen: dass die Libgart Schwarz ihm weggelaufen, und nicht nur ihren Schauspielerberuf hat wieder ausüben wollen; den sie nie aufgegeben hatte; dass da was mit dem Herzen nicht stimmt, vielleicht emotionale Wahrheit hat, aber nichts mit dem einem Ventil zu tun hat, ausser das die Österreichische Armee bei der Musterung so etwas nicht bemerkt hat, oder ihr es nichts ausmacht. In der "Lehre der St. Victoire", jedenfalls erzählt uns Handke, wie stolz der gehasste Stiefvater war, das einzige worauf er stolz war, dass Handke da gut angekommen war.

Wer davon irgendwelche Schlüsse zieht, oder wen es interessiert, außer mir und Tilman Moser, dem ja nur narzisstische Wunden aufgefallen waren? Na, es sind nicht viele, die sich Gedanken darüber machen. Der Biograph Georg Pichler, nicht zu verwechseln mit  anderen Handke- Forscher(n) gleichen Namens, schreibt, als kippe das Reich der Psychologie am Erdrand. Auch so eine Sache über Handke, die mit dem Sujet abgesprochen, vereinbart ist, sonst wohl nicht diese Galerie von Kindheits- und anderen Bildern; ja wie grässlich eitel Handke ist. Alle von Suhrkamp herausgegeben Sammelbaende und die Pichler Biographie enthalten nichts kritisches ueber den Kerl. Als ob er ein Gauner sei der einen unbefleckten Anzug tragen muss!

 Es gibt auch schöne Photos von dem vollkommen erschöpften, überarbeiten Handke, es hängt ihm die Haut unter den Augen wie Waschlappen. Jedenfalls nach Princeton/New York, 1966, wanderte er nach Jackson, Mississippi, und bewunderte das Faulkner Haus.

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