Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#93)
Kapitel III
Konklusion (g)
Obwohl es keinem Menschen, wenigstens in diesem Leben, gelingen wird, den erwähnten großen Überblick zu erlangen, so können
wir doch, was zu sehen wäre, in verkleinerter Form darstellen, weil wir um die Prinzipien wissen, nach denen die Schöpfung
konstruiert ist.* Wir können die größten Dinge in Modellen darstellen, warum also nicht auch das Universum?
Dasselbe Prinzip, das uns erlaubt, ein Zoll zu messen, oder ein Hektar eines Grundstücks, hilft uns auch bei der Vermessung
von Millionen Meilen Ausdehnung. Ein Kreis mit einem Zoll Durchmesser hat dieselben geometrischen Eigenschaften wie der
Kreis, der das Universum umschreiben könnte.
Dieselben Eigenschaften eines Dreiecks, die es ermöglichen, den Kurs eines Schiffes auf dem Papier festzuhalten, erlauben es
auch, den Kurs des echten Schiffes auf der echten See zu berechnen. Wenn man sie dann dazu verwendet, die Himmelskörper
zu vermessen, erhalten wir daraus minutengenaue Vorhersagen über Sonnenfinsternisse, obwohl die entsprechenden Gestirne
Millionen Meilen von uns entfernt sind. Dieses Wissen ist göttlichen Ursprungs, und wir Menschen haben es aus der Bibel der
Schöpfung gelernt - und nicht aus der dummen Kirchenbibel, die uns gar nichts lehren kann.
Alle Wissenschaften, die unsere Existenz auf der Erde angenehm gemacht haben und ohne die wir Menschen uns kaum von
gewöhnlichen Tieren unterscheiden würden, sind dem großen Räderwerk und der wunderbaren Struktur des Universums
entnommen.
Den fortwährenden und unermüdlichen Beobachtungen der Bewegungen und Drehungen dieser Himmelskörper,
die unsere Vorfahren seit den Urzeiten gemacht haben, verdanken wir dieses Wissen. Weder Moses noch die Propheten,
weder Jesus noch seine Apostel haben dazu einen sinnvollen Beitrag geleistet. Nur der Allmächtige ist der Ingenieur
dieser Schöpfung, der erste Philosoph und Lehrer aller Wissenschaften. Verehren wir also unseren Meister, und vergessen wir
nicht die Leistungen unserer Ahnen.
Hätten wir heute noch keine Ahnung von Mechanik, aber hätten wir den eingangs erwähnten Überblick über das Universum,
so würden wir bald wenigstens einige der mechanischen Geräte erfinden, die wir nun für selbstverständlich erachten. Wir würden
unser Verständnis nach und nach und durch seine praktische Anwendung verbessern. Oder, eine andere Vorstellung: Würde man
einem Menschen ein Modell des Universums mit sich drehenden Planeten etc. zeigen, so würde der nämliche Erfindungsgeist
angeregt.
Ein solcher Forschungsgegenstand würde ihm einerseits Wissen vermitteln, das ihm selbst und auch der Gesellschaft nützlich
werden könnte, er wäre andererseits auch sehr unterhaltsam und würde ihm viel eher zum Glauben an den Schöpfer und zu der
ihm gebührenden Ehrfurcht führen, als die blöden Bibeltexte, aus denen selbst der beste Priester nichts als dumme Predigen machen
kann.
Photo: An der Wand der Kirche St. Josef, 1050 Wien
* Die Bibelmacher haben einen Versuch gemacht, uns im ersten Kapitel der Genesis die
Schöpfung zu beschreiben. Dabei haben
sie allerdings nur ihre völlige Ahnungslosigkeit in diesen Dingen zu demonstriert. Sie behaupten, es seien drei Tage und Nächte,
Abende und Morgen vergangen, ehe eine Sonne erschaffen wurde. Und wiie soll das gehen? Die An- und Abwesenheit der Sonne
verursacht ja gerade den Unterschied von Tag zu Nacht! Außerdem ist es eine erbärmlich kindische Idee, dem Schöpfer die Worte
"Es werde Licht" in den Mund zu legen. Das ist der Stil eines Zauberkünstlers, wenn er zu seinen Tassen und Bällchen sagt: "Presto,
verschwindet". Wahrscheinlich ist die angeführte Bibelpassage direkt von Taschenspielern abgeluchst, so wie ja der Stab den Moses
aussehen läßt wie einen Zauberer mit seinem Instrument. Longinus nennt diese Phrase freilich "sublim". Wenn das "sublim" ist, dann
ist jeder Charlatan sublim, wenn er sich nur so ausdrückt. Wann immer die Autoren oder Kritiker von etwas "Sublimem" sprechen, übersehen
sie, wie nahe es an das Lächerliche grenzt. Das "Sublime" dieser Kritiker ist, wie so manches aus Edmund Burke´s "Das Sublime und das
Schöne", einer Windmühle gleich, die man im Nebel undeutlich sieht und die von der eigenen Phantasie schnell in einen Berg, einen Erzengel
oder einen auffliegenden Schwarm wilder Gänse verwandelt wird. - Der Autor.