Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#92)

 

Kapitel III

 

 

Konklusion (e)


Der Glaube an einen Gott wird durch das Vermischen mit dieser seltsamen Geschichte christlicher Provenienz so geschwächt,

daß das Denkvermögen der Menschen wie benebelt scheint: So abenteuerlich sind die wüsten Fabeln des Alten Testaments,

so obszön und verworren ist der Nonsens, der sich im Neuen Testament findet. Betrachtet man diesen konfusen Texthaufen, ist

es kein Wunder, wenn die Menschen beginnen, Fakten und Fiktion miteinander zu vermengen: Und da sie an all das schwer glauben

können, fühlen sie sich dazu veranlaßt, lieber gar nichts zu glauben.


Der Glaube an einen Gott ist jedoch etwas von all dem völlig Verschiedenes, er sollte nicht mit Märchen vermischt werden. Die Idee

von einem dreieinigen Gott hat den Glauben an einen Gott geschwächt: Die Multiplikation des Glaubens führt zu einer Division

desselben - und im Ausmaß dieser Division wird er auch geschwächt.


Religion wird so zu einer Frage der Form, nicht der Fakten, zu einer Frage von Vorstellungen anstelle von Prinzipien. Die natürliche Moral

wird zugunsten einer Sache verbannt, die man einen Glauben nennt, der noch dazu seinen Ursprung in einer Verführung hat.

Ein Mensch wird anstelle eines Gottes propagiert. Eine Hinrichtung wird zum Objekt der Dankbarkeit. Die Priester besudeln sich selbst

mit Blut, wie eine Truppe von Mördern, und geben noch vor, den Ruhm zu bewundern, den sie daraus beziehen. Sie predigen den

Stumpfsinn vom Vorzug der Hinrichtung. Sie preisen Jesus Christus dafür, hingerichtet worden zu sein, und verdammen die Juden

als Täter. Wer immer diesen zusammengewürfelten Unsinn in einer Predigt hört, wird den Gott der Schöpfung mit dem erfundenen Gott

der Christen vermischen und so leben, als gäbe es gar keinen Gott.


Es wurde wohl noch nie ein Religionssystem erfunden, das den Charakter des Allmächtigen so herabwürdigt, das so unerfreulich für

die Menschen selbst ist, das so krass im Widerspruch zur Vernunft steht und sich selbst in so vielen Widersprüchen verstrickt, wie

das sogenannte Christentum. Es ist zu absurd, um geglaubt zu werden. Es ist unmöglich, sich von ihm überzeugen zu lassen. Es ist

viel zu inkonsistent, um daraus eine religiöse Praxis ableiten zu können. Es verstockt die Herzen und produziert doch nur Atheisten

und Fanatiker. Als ein Promotor für die Macht begünstigt es den Despotismus, und als einen Pfad zum Wohlstand die Habsucht der

Priesterschaft: Aber weder auf Erden noch darüber hinaus leistet es irgend etwas Gutes für die Menschheit.


Die einzige Religion, die nicht erfunden worden ist und in allen Aspekten der Evidenz göttlichen Wirkens gerecht wird, ist der pure

und simple Deismus. Es muß die allererste Religion gewesen sein, an die ein Mensch geglaubt hat. Möglicherweise wird es auch die

letzte sein. Dummerweise läßt sich dieser reine Deismus nicht den Zielen despotischer Herrschaft vorspannen. Despoten können eine

Religion erst dann als Vehikel für ihre Macht verwenden, wenn sie ihr allerlei Erfundenes beigesellen und dabei nicht vergessen, auch

die eigene Authorität als religiöse Ingredienz unterzurühren. Den habgierigen Priestern ist eine Religion wie der Deismus ebenfalls unnütz -

und so gehen sie daran, sich - wie die Regierungen - selbst als Teil in das erfundene System hinein zu konstruieren. Das erklärt die sonst

schwer zu durchschauende Verknüpfung zwischen Kirche und Staat: Die Kirche als die humane Maske staatlicher Tyrannei.


Wäre der Glaube an einen einzigen Gott im Menschen so stark, wie er er sein sollte, so wäre sein moralisches Leben dadurch völlig

ausreichend reguliert. Er würde Gott und auch sich selbst achten - und sich hüten, Dinge zu verbrechen, die weder ihm selbst

noch Gott verborgen bleiben können. Dieser Glaube erreicht aber nur dann seine volle Stärke, wenn er unvermischt wirken kann. Das

ist lediglich im Deismus gewährleistet. Aber wie stark kann ein Glaube sein, wenn man, wie im Dreieinigkeits-Schema der Christen, sich

Gott einmal als sterbenden Menschen und ein anderes Mal als eine flatternde Taube*, die man dann den "Heiligen Geist" nennt, vorstellen

muß? So wilde Phantastereien hält doch kein Glaube aus.


Das Ziel der christlichen Kirche wie auch aller anderen erfundenen Religionen war, die Menschen in Unwissenheit über den wahren Gott

zu lassen. So wie es das Ziel von Regierungen war, ihre Bürger in Unkenntnis ihrer Rechte zu belassen. Die Mittel der einen sind

so falsch wie die Mittel der anderen - und beide sind so konstruiert, daß sie einander gegenseitig unterstützen.


* Das Buch, das man das Buch des Matthäus nennt, beschreibt im Kapitel III, Vers 16, wie der Heilige Geist in Gestalt einer Taube

herniederschwebte. Warum nicht in Gestalt einer Gans? Die wäre genauso harmlos, und das eine Tier ist eine so sinnlose Lüge wie das andere.

An anderer Stelle heißt es, er sei in einem mächtigen, rauschenden Wind in Gestalt einer gespaltenen Zunge herabgestiegen.

Waren es vielleicht doch gespaltene Hufe? Dieses absurde Zeug ist bestenfalls als Hexen- und Zaubergeschichte erträglich. - Der Autor.

 

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Photo: Wells-next-the-Sea, North Norfolk

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