Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#88)
Kapitel III
Konklusion (a)
Im ersten Teil von "Das Zeitalter der Vernunft" habe ich von den drei Betrugsarten Mysterien, Wunder
und Prophezeiungen gesprochen. Da in den Reaktionen auf diesen ersten Teil nichts zu finden ist, was
erforderte, die getroffenen Aussagen zu verändern, will ich nicht hier den zweiten Teil mit unnötigen
Kommentaren anfüllen.
Im selben Werk habe ich auch den Begriff Offenbarung behandelt und gezeigt, auf welch absurde Weise
er in den Büchern des Alten und Neuen Testaments angewendet worden ist: Es ist schlicht unmöglich,
von Offenbarung zu sprechen, wenn es nur um das Weitererzählen von Handlungen geht, die von Menschen
gesehen oder begangen worden sind.
Wenn jemand etwas gemacht oder gesehen hat, benötigt diese Person wohl keine Offenbarung, die ihr sagt,
sie habe dies oder jenes gesehen oder getan: Sie weiß das schon. Sie braucht auch keine Offenbarung, um
die Begebenheit weitererzählen oder aufschreiben zu können. Es ist entweder Blödheit oder Betrug, in solchen
Fällen von Offenbarung zu sprechen. Und doch werden sowohl Altes wie auch Neues Testament unter dieser
falschen Bezeichnung einer Offenbarung geführt.
Wenn das Wort Offenbarung eine direkte Kommunikation zwischen Gott und einem Menschen bedeuten soll,
so kann es nur auf Situationen angewandt werden, in denen Gott dem Menschen seinen Willen kundgibt.
Aber obwohl der liebe Gott einer solchen Kommunikation natürlich fähig ist (was wäre einer solchen Macht
unmöglich?), so ist doch das Geoffenbarte - wenn denn wirklich je etwas geoffenbart worden ist, was, nebenbei
bemerkt, nicht beweisbar ist - nur eine Offenbarung für die eine Person, der gegenüber sie stattgefunden hat.
Wenn diese Person es dann weitererzählt, ist das keine Offenbarung mehr. Wer immer einem solchen Bericht
glaubt, glaubt dem Menschen, von dem er stammt. Dieser Mensch aber kann getäuscht worden sein, er kann
die Sache geträumt haben - oder ein Schwindler sein und Lügen auftischen.
Es gibt keine Möglichkeit, festzustellen, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Selbst die moralische Unbedenklichkeit
seiner Erzählung ist kein Beweis für eine Offenbarung. In allen so gelagerten Fällen kann man nur sagen:
"Wenn mir etwas von Gott persönlich offenbart wird, glaube ich daran als Offenbarung. In allen anderen Fällen
kann man nicht von mir verlangen, es für eine Offenbarung zu halten. Ich erachte es auch für unangemessen,
die Worte von Menschen für das Wort Gottes auszugeben - das setzt die Menschen an die Stelle Gottes."
So habe ich im ersten Teil von "Das Zeitalter der Vernunft" argumentiert, und während in dieser Argumentation
eine Offenbarung zwar prinzipiell nicht ausgeschlossen wird, weil ja dem Allmächtigen nichts unmöglich ist, so
bekämpft sie doch den Schwindel zwischen Menschen und soll verhindern, daß mit vorgetäuschten Offenbarungen
Schindluder getrieben werden kann.
Was mich selbst angeht, so halte ich wie gesagt eine Offenbarung grundsätzlich für möglich, aber ich glaube
überhaupt nicht daran, daß der Allmächtige je direkt mit den Menschen kommuniziert hat, weder sprechend,
egal in welcher Sprache, noch durch irgendwelche Erscheinungen oder andere unseren Sinnen begreiflichen
Weisen. Er kommuniziert in den universellen Werken der Schöpfung und ist fühlbar in unserem Abscheu vor
Greueltaten und unserer Disposition, Gutes tun zu können.
Photo: Wroxham, Norfolk