Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#86)
Kapitel III
Nun zum Neuen Testament (p)
Im ersten Teil von "Das Zeitalter der Vernunft" habe ich die Schöpfung das einzig wahre und wirkliche Wort Gottes
genannt. Das vorher genannte Beispiel aus dem Buch der Schöpfung zeigt uns, wie wahr diese Aussage ist: Der
Glaube an einen anderen Zustand in der Zukunft ist ein rationaler Glaube, von den sichtbaren Fakten in der
Schöpfung beglaubigt. Es ist nicht schwieriger, an eine Existenz nach diesem Leben zu glauben, noch dazu in einer
besseren Form und einem angenehmeren Zustand, als an die Verwandlung des Wurmes in einen Schmetterling,
der ein Leben auf dem Misthaufen gegen eines in der Luft tauscht: Wir kennen dieses Faktum.
Was den zweifelhaften Jargon des Paulus im 15. Kapitel des I. Buches Korinther angeht, der auch Eingang in die
Begräbnis-Formeln von einigen christlichen Sekten gefunden hat, so ist er genauso bedeutungsleer wie das Geläute
von Glocken beim selben Ritual. Es erklärt nichts, was dem Verständnis dienen könnte, es illustriert nichts, um die
Vorstellungskraft anzuregen, sondern überläßt es dem Leser, eine Bedeutung aufzustöbern, so er dazu in der
Lage ist. "Nicht alles Fleisch" (so heißt es da) "ist gleich. Es gibt das Fleisch des Menschen. Dann das der Tiere.
Ein anderes der Fische und ein weiteres der Vögel." Aha. Und? Jeder Koch weiß das.
"Es gibt auch" (sagt er) "himmlische Körper und irdische Körper. Die Pracht der himmlischen ist eins, und die Pracht
der irdischen ist ein anderes." Aha. Und weiter? - Nichts. Und was ist der Unterschied? - Keine Antwort. "Es gibt"
(sagt er) "einen Glanz der Sonne, einen des Mondes und einen der Sterne." Aha. Und dann? Nichts. Er sagt nur noch,
daß ein Stern sich vom anderen in seinem Glanz unterscheidet - nicht etwa in seiner Entfernung. Er hätte auch
schreiben können, daß der Mond nicht so hell leuchtet wie die Sonne.
Wie das Geplapper eines Zauberers, der irgendwo Phrasen aufschnappt, die er nicht versteht, um dann die
leichtgläubigen Zuseher seiner Vorstellung zu verwirren, die gekommen sind, um sich ihre
Zukunft weissagen zu lassen: Priester und Taschenspieler sind vom selben Gewerbe.
An einigen Stellen gibt sich Paulus als Naturalist aus, der seine Argumente über die Auferstehung aus den Prinzipien
der Vegetation ableitet. "Ihr Narren" (sagt er) "was ihr sät muß erst sterben, um zu wachsen". Dem kann man
nur im selben Stil entgegenhalten: "Du Dummkopf, Paulus, was du säst muß nicht sterben, um zu wachsen. Denn
ein Korn, das im Erdboden stirbt, wächst nicht mehr. Nur lebendige Körner ergeben das nächste Getreide."
Wie auch immer, die Metapher ist falsch, geht es in ihr ja nicht um Auferstehung, sondern um Nachfolge.
Die geschilderte Veränderung eines Tieres von einem Zustand in den anderen, wie eben der einer Raupe zum
Schmetterling, ist dem Fall angemessen. Nicht aber die Metapher vom Korn, was Paulus zu dem Dummkopf macht,
als den er gern die anderen bezeichnet.
Ob die vierzehn Briefe, die man ihm zuschreibt, tatsächlich von Paulus verfaßt worden sind, spielt keine Rolle. Sie
enthalten entweder Beweise oder Dogmen. Die Beweise aber sind mangelhaft, und der dogmatische Teil ist
bestenfalls spekulativ. Also ist es gleichgültig, von wem all das geschrieben worden ist.
Photo: In der Augustiner-Kirche, 1010 Wien