Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#76)
Kapitel III
Nun zum Neuen Testament (e)
Ein Erdbeben ist immer möglich, eine natürliche Sache und beweist gar nichts. Aber dieses sich Öffnen
von Gräbern ist übernatürlich und steht zudem in direktem Zusammenhang mit ihrer Doktrin, ihrer
Motivation und ihrer Apostelei. Wäre es wahr gewesen, müßten ganze Kapitel mit diesem Ereignis
gefüllt sein - es hätte das übereinstimmende Generalthema dieser Autoren sein müssen. Aber was
erhalten wir? Kleine, triviale Begebenheiten, bloßes Geschwätz der Sorte "und er sagte dies" oder
"er sagte jenes", sind auf das Langweiligste detailliert, während dieser wichtigste Tatbestand auf
schlampige Weise mit bloß einem Federstrich abgetan wird, noch dazu von nur einem der Autoren -
die übrigen drei erwähnen ihn nicht einmal.
Es ist einfach, eine Lüge aufzutischen, aber schwierig, diese Lüge aufrechterhalten, hat man
sie erst einmal erzählt. Der Verfasser des Buches Matthäus hätte uns doch berichten können, wer denn
die Heiligen waren, die aus ihren Gräbern auferstanden sind, um in die Stadt zu spazieren! Was mit
ihnen danach geschehen ist und wer sie gesehen hat - denn so kühn ist der Autor dann doch nicht,
um zu behaupten, er sei selbst Zeuge gewesen. Sind diese Heiligen nackt aus ihren Gräbern gestiegen,
in ihrer natürlichen Pracht, heilige Männlein und Weiblein, oder doch in Gewändern - und woher
haben sie ihr Gewand gehabt? Sind sie zu ihren Häusern gegangen, haben Sie ihre Frauen oder
Männer zurückgefordert und all ihr Eigentum? Wie wurden sie empfangen? Haben Sie eine Räumungs-
klage eingebracht, um ihre Habseligkeiten wiederzuerlangen? Oder Ehebruchsklage gegen eingedrungene
Rivalen? Sind sie nach der Auferstehung auf Erden geblieben und haben ihre beruflichen Tätigkeiten -
etwa das Predigen - wieder aufgenommen? Sind sie noch einmal gestorben? Oder sind sie gar zurück
zu ihren Gräbern marschiert, um sich eigenhändig noch einmal zu begraben?
Es ist doch seltsam: Eine ganze Armee von Heiligen ersteht zu neuem Leben auf, und kein
Mensch weiß, wer sie waren, noch wer sie gesehen hat - und: Es wird kein Sterbenswörtchen über dieses
Thema geschrieben. Dabei hätten doch wenigstens die Heiligen selbst sicherlich einiges zu sagen gehabt.
Wenn es sich etwa um die Propheten gehandelt haben sollte, die - so sagt man uns ja - genau solche Dinge
prophezeit haben, so hätten gerade sie großes Interesse daran gehabt, uns eine ganze Menge zu erzählen.
Sie hätten sehr ausführlich werden können, sie hätten posthume Prophezeiungen herausgeben können,
mit Fußnoten und Kommentaren zu ihren ersten Prophezeiungen - alles wäre besser als das, was
wir nun haben. Wenn es Moses und Aaron und Joshua und Samuel und David gewesen wären - es
gäbe keinen einzigen unbekehrten Juden mehr in ganz Jerusalem. Hätte es sich um Johannes den Täufer
und all die übrigen zu jener Zeit bekannten Heiligen gehandelt, hätten sie die Schar der Apostel in
Grund und Boden gepredigt und diese an Ruhm weit übertroffen. Nichts dergleichen: Diese Heiligen
tauchen so plötzlich auf wie der Rizinusstrauch im Buch Jona, nur um am nächsten Tag wieder zu
verschwinden. Soviel zu diesem Teil der Geschichte.
Die Geschichte von der Auferstehung folgt jener über die Kreuzigung: Hier wie dort widersprechen einander
die Autoren, wer immer sie waren, auf eine Weise, die es offensichtlich macht, daß keiner von ihnen
selbst dabei gewesen war.