Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#64)
Kapitel I
Über das Alte Testament (y)
Diese beiden Berichte sind nicht nur unterschiedlich, sie widersprechen einander. Der eine führt
seine Gefangennahme auf seinen Fluchtversuch aus der Stadt zurück, der andere auf seine
Predigerei und Prophezeierei in der Stadt. In einem wird er von einer Wache angehalten, im
anderen wird er von seinen Begleitern beim Zedekiah angeschwärzt. *
Im nächsten Kapitel (dem 39.) haben wir einen weiteren Beweis für den chaotischen Aufbau
dieses Buches: Denn obwohl die Belagerung durch Nebukadnezar schon in mehr als einem der
vorangegangenen Kapitel lang und breit thematisiert worden ist, speziell im 37. und 38. Kapitel,
beginnt dieses 39. Kapitel doch so, als hätte man bis dahin noch kein Wort daran verschwendet,
als müßte man den Leser noch einmal über jedes Detail dieser Belagerung aufklären - Vers 1:
"Im neunten Jahr des Zedekiah, König von Judäa, kam im zehnten Monat Nebukadnezar, König
von Babylon, mit all seinen Armeen, um Jerusalem zu belagern." etc.
Das letzte Kapitel (das 52) ist ein noch besseres Beispiel, den obwohl die Geschichte wieder und
wieder erzählt worden ist, geht man in diesem letzten Kapitel noch immer davon aus, die Leser
hätten noch nie etwas davon gehört - es beginnt mit: "Zedekiah war einundzwanzig Jahre alt,
als seine Herrschaft begann, und er hatte elf Jahre in Jerusalem regiert, und der Name seiner
Mutter war Hamutal, die Tochter des Jeremia von Libnah. (Vers 4) Und es geschah im neunten
Jahr seiner Herrschaft, daß im zehnten Monat am zehnten Tag des Monats Nebukadnezar, König
von Babylon, mit all seinen Armeen vor Jerusalem aufmarschierte und Kampfbefestigungen gegen
die Stadt errichtete."
Es ist ausgeschlossen, daß ein einziger Mensch der Autor dieses Buches ist, von Jeremia ganz
zu schweigen. Niemand, der sich hinsetzt, um ein Buch zu schreiben, begeht solche Fehler.
Würde ich - oder auch jemand anderer - so chaotisch schreiben, niemand würde die Bücher
lesen, und alle würden annehmen, der Verfasser sei geistesgestört. Die einzige Begründung für
den chaotischen Zustand dieser Bücher ist, daß es sich um ein Medley unzusammenhängender und
ungeprüfter Anekdoten handelt, die irgendein blöder Buchproduzent unter dem Namen des Jeremia
zusammengestellt hat, weil einige von ihnen sich auf diesen Propheten und seine Zeit beziehen.
* Ich habe schon davon gesprochen, wie einander zwei andere Kapitel, Nummer 16 und 17 im
Buch Samuel, widersprechen: Es geht dort um David und wie er Bekanntschaft mit Saul geschlossen
hat, und der Widerspruch ist so groß wie jener, der in den Berichten des 37. und 38. Kapitels
Jeremia über die Ursache der Gefangennahme des Propheten besteht.
Im 16. Kapitel Samuel heißt es, daß Saul von einem bösen Geist heimgesucht wurde und von seinen
Dienern den Rat erhielt, er möge doch "einen Mann suchen, der ein hervorragender Spieler der
Harfe sei". Und Saul entgegnete, Vers 17: "Bringt mir also einen Mann, der gut spielt." Daraufhin
einer der Diener: "Nun, ich habe einen der Söhne von Jesse dem Bethlehemiten gesehen - und der
ist ein sehr guter Spieler, und ein sehr starker Mann, ein guter Krieger, geschickt in vielen
Angelegenheiten, hat eine angenehme Persönlichkeit und der Herr ist mit ihm." Also sandte Saul
Boten aus zum Jesse, die ihm sagten: "Sende David, deinen Sohn". Und (Vers 21) so kam David zu Saul.
Als David vor ihm stand, schloß Saul ihn in sein Herz, und David wurde sein Waffenträger. Und wenn
immer der böse Geist Gottes über Saul kam (Vers 23), ergriff David die Harfe und spielte ihm etwas
vor: Saul erholte sich und es ging im besser danach.
Freilich, im nächsten Kapitel (17) findet sich ein ganz anders gelagerter Bericht, und völlig verschieden
von diesem, was das erste Aufeinandertreffen von Saul und David angeht. Hier wird es als Teil der
Geschichte vom Kampf zwischen David und Goliath erzählt, der sich ereignete, als David seinen Brüdern
Proviant ins Camp bringen sollte. Im 55. Vers dieses Kapitels heißt es: "Als Saul den David gegen den
Philister (das ist Goliath) kämpfen sah, sagte er zu Abner, einem Kapitän seiner Heerscharen: Abner,
wessen Sohn ist dieser Knabe? Und Abner sagte: Bei deiner Seele, oh König, ich weiß es nicht. Darauf
Saul: Also finde heraus, wessen Sproß das ist. Als nun David das Hinschlachten des Goliath vollstreckt
hatte, nahm ihn Abner und brachte ihn vor Saul - der Junge hatte immer noch den Kopf
des Philisters von seiner Hand baumeln. Saul fragte ihn also: Wessen Sohn bist du, junger Mann? Und
David antwortet ihm: Ich bin der Sohn deines Dieners Jesse, des Bethlehemiten." Mindestens einer der
Berichte ist erlogen, denn beide gehen davon aus, daß Saul und David einander nicht gekannt haben.
Dieses Buch, die Bibel, ist so lächerlich, daß jede kritische Auseinandersetzung mit ihm sinnlos wird.