Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#58)

 

Kapitel I


Über das Alte Testament (s)


Es fällt auch auf, daß das Buch von jemandem verfaßt worden sein muß, der wissenschaftlich

gebildet war - und die Juden waren keineswegs berühmt dafür, im Gegenteil: Sie hatten keine Ahnung.

Die Anspielungen auf Objekte der Naturphilosophie sind stark und häufig und aus einem ganz anderen

Holze geschnitzt als das, was man sonst in hebräischen Büchern findet.


Die astronomischen Bezeichnungen der Pleiaden, Orion und Arcturus sind griechischen Ursprungs und

nicht hebräisch, und es gibt in der Bibel keinen einzigen Hinweis darauf, daß die Juden über Astronomie

bescheid gewußt oder diese Wissenschaft studiert haben. So gab es etwa keine Übertragung der Fach-

ausdrücke ins Hebräische, sondern man übernahm alle Namen so, wie man sie im Text vorgefunden

hatte.


Es besteht kein Zweifel daran, daß die Juden heidnische Werke in ihre Sprache übersetzt und mit

ihrer eigenen Literatur vermischt haben. Das einunddreißigste Kapitel Sprichwörter ist ein typisches Beispiel

dafür - es heißt dort, Vers 1: "Die Worte des Königs Lemuel, die Prophezeiung, die er von seiner

Mutter hatte". Das steht gleichsam als Vorwort zu den dann folgenden Sprichwörtern, die nicht 

die Sprichwörter des Salomon sind, sondern die des Lemuel: Und dieser Lemuel war nicht einer der

Könige von Israel, noch von Judäa, sondern von einem anderen Land - mithin ein Heide.


Die Juden haben also schon dessen Sprichwörter einverleibt, und da sie nicht sagen können, wer

denn der Autor des Buches Hiob war, noch woher sie es haben, da es weiters von allen übrigen

Büchern im Alten Testament so grundverschieden ist und gar nicht mit dem Rest zusammenhängt,

hat es allen Anschein, als handelte es sich ursprünglich um ein Buch der Heiden.*


Die Bibelschreiber und ihre Zeiteinteiler, die Chronlogen, standen auch etwas verloren vor der Frage,

wo sie denn das Buch Hiob einordnen sollten - denn es enthält keine historischen Bezugspunkte oder

Hinweise, die seinen Platz in der Bibel festlegen könnten.


Nun wollen diese Herrschaften natürlich nicht ihre eigene Unkenntnis bloßstellen, und so haben sie

als Zeit der Handlung das Jahr 1520 vor der Geburt Christi festgelegt, also jene Zeit, während der die

Israeliten in Ägypten waren. Sie haben dafür ungefähr soviel Beweise wie ich, wenn ich behaupten wollte,

die Geschichte spielte in Wahrheit tausend Jahre früher. Es ist aber wahrscheinlich, daß das Buch

Hiob älter als alle übrigen Bücher des Alten Testaments ist. Es ist jedenfalls das einzige, das man ohne

Ärger und Abscheu lesen kann.


Wir wissen heute nichts mehr von der alten Welt der Heiden (wie man sie nennt) und wie sie

vor der Zeit der Juden ausgesehen hat: Die Juden waren sehr damit beschäftigt, den Charakter

aller übrigen Nationen anzuschwärzen und schlecht zu machen - und so nennen wir sie auch

aufgrund jüdischer Berichte Heiden.


So weit wir aber wissen, waren sie ein gerechtes und sittliches Volk, und nicht wie die Juden

süchtig nach Grausamkeit und Rachsucht: Welches Glaubensbekenntnis die Heiden hatten,

wissen wir heute nicht mehr. Es scheint eine ihrer Gewohnheiten gewesen zu sein, die Tugend

und die Sünde zu personifizieren und als Statuen oder in Bildern darzustellen - so wie wir das

heutzutage auch machen: Aber daraus folgt noch nicht, daß sie diese Statuen oder Bilder

angebetet haben - wir machen das ja auch nicht.

 


* Das Gebet, das unter dem Namen Agur´s Gebet bekannt ist, steht im dreißigsten Kapitel

unmittelbar vor den Sprichwörtern des Lemuel, und es ist das einzige sinnvolle, gut ausgedachte

und auch im Ausdruck gelungene Gebet im gesamten Alten Testament. Alles deutet darauf hin, daß

es sich auch dabei um ein Gebet der Heiden handelt. Der Name Agur kommt nur hier vor, und Agur wird

in derselben Weise und nahezu mit denselben Worten wie ein Kapitel später Lemuel den Lesern

vorgestellt. Der erste Vers im 30. Kapitel lautet: "Die Worte des Agur, Sohn des Jakeh, und eine

Prophezeiung." Wie dann auch im Kapitel von Lemuel kommt das Wort Prophezeiung hier ohne

Anspielung auf eine Vorhersage vor. Das Gebet des Agur steht im 8. und 9. Vers, und lautet: "Befreie

mich von Eitelkeit und Lüge. Gib mir weder Reichtum noch Armut. Gib mir Speis´ und Trank, wie sie

mir gut tun - so daß ich nicht fett sei und Dich leugnete und sagte: Wer ist Gott? Und daß ich nicht arm

sei und stehlen und dich vergebens anflehen müßte." Kein Anzeichen eines jüdischen Gebets, denn die

Juden haben nur gebetet, wenn sie in Schwierigkeiten waren und dann stets, um Sieg, Rache oder

Reichtum zu erbitten. - Der Autor.

 


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