Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#54)

 

Kapitel I


Über das Alte Testament (0)

 

 

Im Bericht über die Herrschaft des Königs Menahem, eines der Könige Israels, der für die

Ermordung Shallums verantwortlich war und nur ein Monat lang regiert hatte, heißt es,

II. Könige, Kapitel 15 Vers 16, daß Menahem die Stadt Tipsah in Trümmer legte, da sie ihm

die Stadttore nicht öffnen wollte: Und daß er alle schwangeren Frauen aufschlitzen ließ.


Selbst wenn wir zugestünden, daß der Allmächtige ein einziges Volk als sein erwähltes Volk

ausgezeichnet hätte, so müßten wir zumindest annehmen, daß dieses Volk ein Beispiel der

reinsten Pietät und Menschlichkeit sei, und nicht eine Nation von Banditen und Halsabschneidern,

wie es die antiken Juden waren: Ein Volk, von Monstern und Betrügern wie Moses, Aaron,

Joshua, Samuel und David zuerst korrumpiert und dann nach ihnen geratend, das sich von allen

anderen Völkern der Erde durch Barbarei und Bösartigkeit ausgezeichnet hat.


Wenn wir nicht sturschädelig unsere Augen verschließen würden und unsere Herzen erhärten,

so wäre es, trotz allen Effekten lang etablierten Aberglaubens auf das Denken, unmöglich zu übersehen, 

daß die schmeichelhafte Bezeichnung vom erwählten Volk nichts anderes ist als eine Lüge, von Priestern

und den Fürsten der Juden erfunden, um die Rohheit ihrer eigenen Charaktere zu verschleiern, und

von den christlichen Priestern, manchmal genauso korrupt und sehr häufig ebenso grausam, in die

Glaubenssätze übernommen.


Die zwei Bücher Chroniken sind eine Wiederholung derselben Verbrechen, aber die Geschichte wird

vom Autor an einigen Stellen unterbrochen, womit die Herrschaft einiger Könige ausgelassen wird.

Dabei wird, wie schon in den Büchern Könige, so häufig zwischen Königen von Judäa und Königen

von Israel hin- und hergewechselt, daß der Handlung nur schwer zu folgen ist.


Auch widerspricht sich im selben Buch die Geschichte mehrere Male. So zum Beispiel im zweiten

Buch Könige, Kapitel 1, Vers 17, wo uns in sehr unklarer Weise gesagt wird, wie nach dem

Tod des Ahaziah, König von Israel, Jehoram - oder Joram (aus dem Haus Ahab) - die Herrschaft

übernahm, und zwar im zweiten Jahr der Herrschaft Jehorams, oder Jorams, Sohn des Jehoshaphat,

König von Judäa. Aber im Kapitel 8, Vers 16 desselben Buches, wird behauptet, daß im fünften Jahr

der Herrschaft Jorams der Sohn des Ahab und König von Israel zu herrschen begann, als Jehoshaphat

gerade König von Judäa war. Das heißt, ein Kapitel sagt, daß Joram von Judäa im zweiten Jahr von

Joram von Israel seine Geschäfte aufnahm, das andere Kapitel spricht davon, daß Joram von Israel

im fünften Jahr der Herrschaft des Joram von Judäa zu regieren begann.


Einige sehr außergewöhnliche Ereignisse, die in der einen Historie als Vorkommnisse während

der Herrschaft dieses oder jenes Königs aufgezählt werden, fehlen in der anderen zur Gänze, wenn

vom selben König die Rede ist. So waren zum Beispiel die beiden rivalisierenden Könige nach

dem Tod des Salomo Rehoboam und Jeroboam. Im I. Buch Könige, Kapitel 12 und 13, wird beschrieben,

wie Jeroboam ein Weihrauchopfer darbrachte und wie ein Mann, der Mann Gottes genannt wurde,

aufschrie, Kapitel 13, Vers 2: "Oh Altar, Altar! So spricht Gott: Ein Kind wird dem Hause Davids

geboren werden mit dem Namen Josiah. Und er wird die Weihrauch brennenden Priester zum

Opfer anbieten, und die Knochen von Männern werden auf dir verbrannt werden!" Vers 3: "Als

König Jeroboam diese Worte aus dem Mund des Gottesmannes vor dem Altar von Bethel hörte,

sprach er, die Hand vom Altar nehmend: Legt ihn in Ketten. Und die Hand, die er gegen den

Mann Gottes ausstreckte, verdorrte, sodaß er sie nicht mehr bewegen konnte."


Man möchte meinen, ein so ungewöhnliches Ereignis wie dieses, noch dazu eines, das den Boss

einer der beiden Parteien unmittelbar nach der Spaltung des Landes betrifft, wäre in beiden Historien

überliefert worden: Wenn es gestimmt hätte. Aber obschon es von den Menschen dieser Zeit heißt,

sie hätten alles geglaubt, was die Propheten ihnen sagten, so scheint es doch so zu sein, daß die

Propheten und Historiker einander nicht geglaubt haben: Man hat einander wohl zu gut gekannt.


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Photo: Beim Stephansdom in Wien


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