Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#53)

 

Kapitel I


Über das Alte Testament (n)

 

 

Ich komme nun auf die zwei Bücher Könige und die beiden Bücher Chroniken zu sprechen. Es handelt

sich bei beiden um gänzlich historische Werke, die sich vornehmlich mit Leben und Taten der jüdischen

Könige beschäftigen, die, ganz allgemein gesagt, eine Schar von Lumpen waren. Freilich soll uns

das genauso wenig kümmern wie die römischen Kaiser oder Homers Bericht vom Trojanischen Krieg.


Nämlich weil wir, da diese Werke von anonymer Hand sind und wir nichts von den Schreibern wissen, noch

wie ihr Charakter beschaffen war, unmöglich entscheiden können, wieviel Glauben wir den darin

geschilderten Vorkommnissen schenken sollen. Wie alle antiken Geschichten sind auch die in diesen

Büchern enthaltenen ein Durcheinander von Fakten und Fiktion, von wahrscheinlichen und

unwahrscheinlichen Dingen - die allerdings durch die verstrichene Zeit, an einem anderen Ort und

durch die Veränderungen der Lebensumstände auf der Welt völlig obsolet und uninteressant

geworden sind.


Ich benutze sie hauptsächlich, um sie miteinander und mit anderen Teilen der Bibel zu vergleichen

und so die Widersprüche, Konfusionen und Grausamkeiten in diesem angeblichen Wort Gottes

aufzuzeigen.


Das erste Buch Könige beginnt mit der Herrschaft des Salomo, die der Bibelchronologie zufolge

in das Jahr 1015 vor Christus fällt. Das zweite Buch endet 588 Jahre vor Christus, ein wenig nach

der Herrschaft des Zedekiah, den Nebudkadnezar als Gefangenen nach Babylon verschleppt, nachdem

er Jerusalem eingenommen und die Juden besiegt hatte. Die beiden Bücher umspannen also einen

Zeitraum von 427 Jahren.


Die beiden Bücher Chroniken sind eine Historie über die selbe Zeit und großteils auch über dieselben

Personen, lediglich von einem anderen Autor geschrieben: Es wäre absurd zu glauben, derselbe

Autor hätte dieselbe Geschichte zweimal verfaßt. Das erste Buch Chroniken beginnt mit der Herrschaft

Davids, nachdem zunächst eine Genealogie von Adam bis Saul gegeben wird, die sich über die ersten

neun Kapitel erstreckt. Das letzte Buch endet wie das zweite Buch Könige kurz nach der Herrschaft

des Zedekiah, etwa 588 Jahre vor Christus. Die beiden letzten Verse des letzten Kapitels treiben

die Geschichte dann noch 52 Jahre weiter bis ins Jahr 536. Aber diese Verse gehören nicht zum Buch,

wie ich beweisen werde, wenn ich das Buch Ezra behandeln werde.


Die beiden Bücher Könige enthalten, abgesehen von den Kapiteln über Saul, David und Salomo, die

über ganz Israel herrschten, eine Zusammenfassung des Lebens von 17 Königen und einer Königin,

die als Könige von Judäa dargestellt werden, und von 19 Königen, die als Könige von Israel genannt

werden. Denn die jüdische Nation war gleich nach dem Tod des Salomo in zwei Teile zerfallen, die

ihre eigenen Könige erwählten und die immer wieder in verbitterten Kriegen übereinander herfielen.


Die beiden Bücher sind kaum mehr als eine Auflistung von Morden, Verrat und Krieg. Die Grausamkeiten,

welche die Juden an den Kanaaniten erprobt hatten, als sie brutal in deren Land einfielen, von dem sie

behaupteten, es sei ein Geschenk Gottes, führten sie danach aufs Brutalste gegeneinander fort. Kaum

die Hälfte ihrer Könige starb eines natürlichen Todes, in einigen Fällen wurden ganze Familien umgebracht,

um die Besitztümer dem Nachfolger zu sichern, den jedoch nach einigen Jahren, manchmal auch nach

wenigen Monaten oder noch eher, dasselbe Schicksal ereilte. Im zehnten Kapitel des zweiten Buches

Könige wird erzählt, wie zwei Körbe vollgefüllt mit Kinderköpfen, siebzig an der Zahl, vor den Toren

einer Stadt ausgestellt worden sind: Es handelte sich um die Kinder von Ahab, die auf den Befehl

des Jehu ermordet worden waren, der seinerseits von Elias, diesem angeblichen Mann Gottes, zum

König über Israel gesalbt worden war - und zwar absichtlich, damit jener diese Bluttat begehe und seinen

Vorgänger morde.

 

 


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