Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#50)

 

Kapitel I


Über das Alte Testament (j)


Ich werde nicht auf alle Widersprüche Ort, Zeit und Umstände betreffend, die sich in den

Moses zugeschriebenen Büchern zuhauf finden, hinweisen, welche eindeutig beweisen,

daß diese Bücher weder von Moses noch zu seinen Lebzeiten verfaßt worden sind. Vielmehr werde

ich nun darangehen, auch das Buch Josua zu analysieren und zu zeigen, daß Josua nicht der Autor

dieses Buches ist, es mithin ebenso anonym und ohne Autorität ist. Die Beweise finden sich wieder im

Buch selbst, denn ich werde keine anderen Quellen dazu heranziehen, um die angebliche Authentizität

der Bibel zu widerlegen: Falsche Zeugenaussagen richten sich selbst am besten.


Josua war, dem ersten Kapitel Josua zufolge, der unmittelbare Nachfolger von Moses. Er war,

anders als Moses, darüber hinaus auch ein Mann des Militärs, und er war 25 Jahre lang Befehlshaber

des Volkes Israel, das heißt also vom Todesjahr des Moses, das die Bibelchronologen mit 1451 vor

Christus datieren, bis 1426 vor Christi Geburt. In diesem Jahr starb Josua auch, so dieselbe Chronologie.


Wenn wir also in dem Buch, das von Josua stammen soll, auf Fakten stoßen, die sich nach dem

Tod des Josua ereignet haben, dann ist das ein klarer Beweis dafür, daß Josua nicht der Autor sein

kann - und daß das Buch erst nach der Zeit des letzten darin geschilderten Geschehnisses geschrieben

worden sein kann. Es ist ein schauderhaftes Buch, eine Miltärgeschichte von Vergewaltigung und Mord,

so wild und brutal, wie alle Verbrechen von Josuas heuchlerischem und schurkenhaften Vorgänger Moses.

Wie schon in den vorangehenden Büchern besteht die Blasphemie darin, all die Greuel

auf ausdrückliches Geheiß Gottes geschehen zu lassen.


Das Buch ist, wie auch sein Vorläufer, in der dritten Person geschrieben. Es ist der Historiker des

Josua, der es schreibt: es wäre ja sehr aufgeblasen und absurd, würde Josua selbst von sich

behaupten, wie er es in Kapitel 6 im letzten Vers macht, daß sein Ruhm durchs Land schallte.

Aber ich gehe direkt zum Beweis über.


Im 24. Kapitel, Vers 31, heißt es: Und Israel diente dem Herrn während der gesamten Herrschaft

des Josua und auch noch, solange die Alten da waren, die den Josua überlebt hatten." Nun denn,

im Namen des Hausverstands, kann es Josua sein, der hier erzählt, was nach seinem Tod passiert ist?

Dieser Bericht muß von einem Historiker stammen, der nicht nur nach dem Josua, sondern auch nach

den Alten gelebt hat, die ihrerseits den Josua überlebt hatten.


Es gibt im Buch Josua einige Passagen, die verstreute Hinweise auf die Zeit der Entstehung geben

und sie in eine recht große Distanz zur Lebenszeit des Josua rücken - ohne jedoch genauer zu werden,

wie in der oben angeführten Passage. In diesen Zeilen wird als Entstehungszeit die Zeit zwischen

dem Tod des Josua und dem Tod der Alten in klaren Worten ausgeschlossen - es muß geschrieben worden

sein, nachdem auch der letzte der Alten gestorben war.


Und obwohl wie gesagt keine klaren Angaben gemacht werden, weisen doch die im Folgenden zitierten

Passagen auf eine Entstehungszeit hin, die noch viel später anzusetzen sein wird als nach dem Tod

des letzten der Alten. So etwa die Passage in Kapitel 10, Vers 14, wo es nach der Beschreibung eines

Sonnenstillstandes über Gibeon und eines Mondstillstandes im Tal von Ajalon, die auf den Wink des

Josua zustande gekommen sein sollen (was als Geschichte bestenfalls für Kinder einen Unterhaltungs-

wert hat), heißt: "Und es war kein Tag wie dieser, weder davor noch danach, an dem der Herr auf

die Stimme eines Menschen gehört hat."


Diese Geschichte vom Sonnenstillstand über dem Berg Gibeon und dem Mondstillstand im Tal von Ajalon

ist eine dieser Fabeln, die sich selber richten. So ein Ereignis würde sofort in der ganzen Welt bekannt sein.

Die halbe Welt hätte gerätselt, warum die Sonne nicht aufgeht, die andere Hälfte der Welt, warum sie

nicht untergeht. Die Berichte darüber wären weltweit zu finden gewesen - aber es gibt kein Land auf der

Welt, das darüber Bescheid weiß.


Aber warum muß der Mond stillstehen? Was soll der Mond bei Tageslicht, während die Sonne am

Himmel steht? Als poetische Figur ist das ja sehr schön, wie in dem Lied von Deborah und Barak,

"Die Sterne auf ihrer Bahn rauften gegen Sisera" - aber es ist doch zum Beispiel jenem Ausspruch des

Mohammed klar unterlegen, der einigen Kritikern entgegenhielt: "Und wenn ihr mit der Sonne in

der einen Hand und dem Mond in der anderen zu mir kommt - das wird mich nicht von meinem Weg

abbringen."


Wenn Josua den Mohammed übertrumpfen hätte wollen, dann hätte er schon Sonne und Mond

in seine Hosentaschen stecken müssen, so wie Guy Fawkes seine Laternen getragen hat, um sie

dann bei günstiger Gelegenheit hervorzuzaubern.


Das Erhabene und das Lächerliche sind einander so nah, daß man sie nur schwer auseinander halten kann.

Ein Schritt über das Erhabene hinaus, und man steht im Lächerlichen, und ein Schritt weiter über

das Lächerliche, schon ist man wieder im Erhabenen. Wie dem auch sei, der Bericht, wenn man ihn

aller poetischen Launen entkleidet, zeigt nur, wie ignorant Josua gewesen sein muß - denn der Befehl

zum Stillestehen hätte doch an die Erde ergehen müssen.

 


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