Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#45)
Kapitel I
Über das Alte Testament (e)
Der Verfasser des Buches Deuteronomium, wer immer es war (denn es handelt sich ja um ein
anonymes Werk), bleibt in seinem Bericht über Moses sehr unklar und widerspricht sich darin auch selbst.
Nachdem er erzählt hat, wie Moses auf den Gipfel des Pisgah gestiegen ist (es geht übrigens
aus keinem der Berichte hervor, ob er je wieder von dort oben heruntergekommen ist), erklärt er uns,
daß Moses dort im Land Moab gestorben ist, und daß er ihn in einem Tal im Land Moab begraben hat.
Da es zum Pronomen aber kein vorangestelltes Subjekt gibt, weiß man nicht, wer er denn war, der
ihn begraben haben soll. Wenn der Verfasser Ihn (Gott) meinen sollte - wie kommt es, daß er (der
Verfasser) es weiß? Und warum sollten wir (die Leser) ihm glauben? Immerhin wissen wir nicht, wer
es ist, der uns das alles erzählt - Moses war es sicher nicht, der uns da berichtet, wo er begraben wurde.
Der Autor erzählt uns auch, daß bis zum heutigen Tage kein Mensch weiß, wo das Grab des Moses ist.
Also bis zu der Zeit, in welcher dieser Autor gelebt hat. Wie kommt es aber, daß er um das Grab im Land
Moab weiß? Denn da der Verfasser eine lange Zeit nach Moses lebte, wie aus dem Ausdruck
bis zum heutigen Tage klar wir, der eine große Zeitspanne nach dem Tod des Moses meint, war
er sicherlich nicht bei dessen Begräbnis. Es ist wiederum unmöglich anzunehmen, Moses selbst
könnte schreiben bis zum heutigen Tage weiß kein Mensch, wo das Grab des Moses ist. Moses dies
sagen zu lassen wäre eine Erweiterung des Kinderspiels, wo sich das Kind versteckt und schreit:
Keiner weiß wo ich bin. Keiner weiß, wo Moses ist.
Der Autor hat uns auch nirgendwo erklärt, wie er zu den Reden gekommen ist, die er dem
Moses in den Mund legt, also können wir mit gutem Recht annehmen, daß er sie entweder selbst
komponiert oder auf der Basis mündlicher Überlieferung niedergeschrieben hat. Eine dieser
Möglichkeiten wird eher wahrscheinlich sein, weil im fünften Kapitel gibt er eine Liste der Gebote an,
in welchem das sogenannte vierte Gebot sich von dem vierten Gebot unterscheidet, wie es im
zwanzigsten Kapitel Exodus auftaucht.
In Exodus wird als Grund für das Freihalten des siebenten Tages angegeben, daß Gott (sagt das
Gebot) Himmel und Erde in sechs Tagen gemacht hat und am siebenten ruhte. In Deuteronomium
aber ist der Grund, daß an diesem Tag die Kinder Israels aus Ägypten ausgezogen waren, und deshalb,
sagt das Gebot, befiehlt dir Gott dein Herr, den Sabbath frei zu halten. Das eine Buch schweigt über
die Schöpfung, das andere über den Auszug aus Ägypten.
Es werden in diesem Buch auch viele Dinge als Gesetze von Moses ausgegeben, die sich in keinem
der anderen Bücher finden lassen, etwa das unmenschliche und brutale Gesetz, Kapitel 25, Verse 18,
19, 20 und 21, das Eltern, sowohl Vater als auch Mutter, autorisiert, ihre eigenen Kinder dafür
steinigen zu lassen, was den Autoren "Sturköpfigkeit" zu nennen beliebt.
Priester haben freilich stets gern Deuteronomium gepredigt, denn Deuteronomium predigt Abgaben.
Und aus diesem Buch, Kapitel 25, Ver. 4, nehmen sie auch die Wendung, die sie auf Abgaben
münzen: Du sollst dem Ochsen keinen Maulkorb umhängen, wenn er das Korn drischt. Auf daß er
der geneigten Aufmerksamkeit der Leser nicht entgehe, haben sie diesen Vers, obwohl er nicht länger
ist als zwei Zeilen, in das Inhaltsverzeichnis am Beginn des Buches aufgenommen. Ach ihr Priester!
Solange es euch Geld bringt, seid ihr sogar bereit, euch mit Ochsen vergleichen zu lassen.
Obwohl wir unmöglich wissen können, um wen es sich beim Verfasser von Deuteronomium gehandelt
hat, so ist es doch nicht schwer herauszufinden, was er von Beruf war: Nämlich irgendein jüdischer
Priester, der - wie noch zu zeigen sein wird - mindestens dreihundertfünfzig Jahre nach der Zeit des
Moses gelebt hat.