Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#43)
Kapitel I
Über das Alte Testament (c)
Nach dieser Einleitung werde ich nun die Authentizität der Bibel untersuchen, und ich
beginne damit,
was unter dem Namen "Die fünf Bücher Moses, Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomius"
bekannt ist. Ich will zeigen, daß diese Bücher Fälschungen sind und Moses nicht ihr Autor ist - und
darüber hinaus, daß sie gar nicht zur Zeit Moses verfaßt worden sind, sondern frühestens ein paar
hundert Jahre danach, sie mithin nichts anderes als ein Versuch sind, eine Geschichte des Lebens von
Moses, seiner Zeit und der Zeit vor ihm zu schaffen. Geschrieben ist der Text von einigen ignoranten
und dummen Schwindlern, die sich die Autorenschaft anmaßten - einige hundert Jahre nach dem Tod
des Moses, so wie man heute die Geschichte von Dingen schreibt, wie sie sich vor hunderten oder
tausenden Jahren ereignet hat oder haben soll.
Ich werde zu diesem Zweck meine Beweise aus diesen Büchern selbst ableiten - und mich auf diese
Beweise beschränken: Würde ich auf andere Autoren verweisen, welche von den Bibeladvokaten
"profan" geheißen werden, so würden jene Herrschaften deren Autorität bestreiten genauso wie ich
die ihre. Ich suche sie daher auf ihrem ureigenen Terrain auf und verwende auch ihre eigene Waffe,
nämlich die Bibel.
Zunächst gibt es keinen festen Hinweis darauf, daß Moses der Verfasser dieser Bücher ist. Es ist
mir schleierhaft, wie sich eine so unbegründete Meinung wie die von Moses Autorenschaft in der Welt
verbreiten konnte. Stil und die Schreibweise dieser Bücher machen es einem unmöglich, an eine
Urheberschaft von Moses zu glauben oder eine solche nur anzunehmen: Es sind durchwegs Stil und
Ausdrucksweise einer dritten Person, die über Moses spricht.
Die Bücher Exodus, Levitikus und Numeri (alles im Buch Genesis spielt vor der Zeit Moses, und es
wird in ihm auch keinerlei Anspielung auf ihn gemacht) handeln von Moses zur Gänze in der dritten Person.
Immer heißt es der Herr sprach zu Moses oder Moses sprach zu Gott oder Moses sagte zum Volk oder das Volk wandte sich an Moses. So schreiben Historiker, wenn sie über Personen sprechen, deren Leben
und Taten sie schildern. Freilich kann man einwenden, ein Mensch könne über sich selbst in der
dritten Person schreiben, und also müsse man das auch für Moses annehmen dürfen.
Aber eine Annahme beweist noch gar nichts. Wenn also die Befürworter der Theorie, Moses habe
diese Bücher selbst geschrieben, kein besseres Argument vorzubringen haben als eine Annahme,
sollten sie besser still bleiben.
Gewähren wir Moses aber einmal das grammatische Recht, von sich in der dritten Person zu sprechen -
wie man es jedermann zugestehen muß - so kann man in diesen Büchern Moses nicht von sich selbst in
der dritten Person sprechen lassen, ohne ihn völlig lächerlich und absurd zu machen. Zum Beispiel
Numeri 12,3: Nun war Moses ein sehr demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf Erden.
Wenn Moses das von sich selbst sagen würde, wäre er nicht der demütigste aller Menschen, sondern
ein eitler und äußerst arroganter Stutzer. Die Verteidiger diese Bücher können sagen, was sie wollen,
alle Argumente kehren sich gegen sie: Ist Moses nicht ihr Urheber, verlieren die Bücher ihre
Autorität. Ist Moses aber der Urheber, dann kann man ihm nicht glauben:
Mit seiner Demut anzugeben ist das genaue Gegenteil von Demut - es ist eine Gefühlslüge.
Photo: St. Josef in Wien (ehemalige Karmeliterkirche), Detail von der Rückseite