Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#70)

 

Kapitel I


Über das Alte Testament (ae)

 

 

Wir müssen uns nun diesen angeblichen Missionar im letzten Akt seiner Mission vorstellen.

Und dabei wird wieder einmal die boshafte Gesinnung eines Bibelpropheten beziehungsweise

weissagenden Priesters offenbart, in all ihrem schwarzen Charakter, den die Menschen sonst

einer Kreatur zuschreiben, die sie den Teufel nennen.


Nach dem Hinausschreien seiner Prophezeiung, so die Geschichte, zieht sich Jona auf die

Ostseite der Stadt zurück. Aber wozu? Keineswegs, um in aller Zurückgezogenheit die Gnade

seines Herren ihm und allen anderen gegenüber zu kontemplieren, nein, sondern um in bösartiger

Ungeduld die Zerstörung Ninivehs abzuwarten.


Freilich, erzählt die Geschichte, änderten sich die Bewohner Ninivehs, und Gott "bereute" -

in der Bibelphrase - die Untat, die er ihnen auferlegt hatte, und nahm sie zurück. Das aber,

heißt es im ersten Vers des letzten Kapitels, "mißfiel dem Jona auf das Äußerste, und er war sehr

zornig." Sein verstocktes Herz hätte es viel lieber gesehen, daß ganz Niniveh der Zerstörung

zum Opfer gefallen wäre und alle Einwohner in den Trümmern umgekommen wären, als daß sich seine

Prophezeiung nicht erfüllen sollte.


Um den Charakter eines Propheten noch deutlicher zu zeichnen, wächst dem Jona in der Geschichte

über Nacht ein Rizinusstrauch, um ihn angenehmerweise an seinem Aufenthaltsort vor der Sonne zu

schützen; am nächsten Tag aber verdorrt dieser Strauch.


Hier nun gerät der Prophet in exzessive Rage und er will sich umbringen: "Es ist besser, sagte er,

zu sterben, als noch weiter zu leben." Dies resultiert in einem Tadel des Allmächtigen gegenüber

dem Propheten, in welchem ersterer spricht: "Ist es wohl recht, wegen des Strauches zornig zu sein?

Und Jona sagt: Sicher, ich finde, ich kann sterbenszornig sein deswegen; darauf der Herr: Du hast also

Mitleid mit dem Strauch, für den du keinen Finger gekrümmt hast, um ihn wachsen zu lassen, der

eines Nachts wuchs und in der nächsten Nacht gleichermaßen ohne dein Zutun wieder verschwand.

Sollte ich also nicht Niniveh verschonen, diese große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend

Menschen leben, die rechts nicht von links unterscheiden können?"


An dieser Stelle werden beide, die Satire und die Moral der Geschichte, vollendet: Als Satire ist die

Geschichte ein Schlag gegen alle Bibelpropheten, gegen ihre rücksichtslosen Prophezeiungen und

Urteile gegen Männer, Frauen und Kinder, mit denen dieses Lügenbuch der Bibel vollgestopft ist:

Noahs Flut, die Zerstörung der Städte Sodom und Gomorrha, die Auslöschung der Kanaaniten,

die auch Säuglinge nicht aussparte und stillende Mütter, für die alle sicherlich dieselbe Phrase von

den mehr als hundertzwanzigtausend Menschen, die nicht zwischen links und rechts unterscheiden

können, zutrifft. Es ist auch eine Satire auf die Vorliebe des Schöpfers für ein Volk vor allen anderen.


Die Moral der Geschichte predigt gegen den bösartigen Geist der Vorhersagen: Denn es ist anzunehmen,

daß jener, der Böses vorhersagen, dazu neigt, sich die Erfüllung dieser Übel zu wünschen. Der Stolz,

seine Prophezeiung erfüllt zu sehen, verhärtet das Herz, bis man zuletzt mit Genugtuung das

Eintreten der Vorhersage wahrnimmt - oder mit Enttäuschung das Ausbleiben des Prophezeiten.


Das Buch endet also mit einem ähnlich starken und gut gezielten Argument gegen Propheten,

Prophezeiungen und rücksichtslose Verurteilungen wie es das Kapitel Benjamin Franklins über

Abraham und den Fremden gegen den intoleranten Geist von religiöser Verfolgung leistet. So viel

zum Buch Jona.

 

 


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52•10