Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#69)
Kapitel I
Über das Alte Testament (ad)
Ich habe schon im ersten Teil von "Das Zeitalter der Vernunft" über Jona und seine Geschichte
mit dem Wal gesprochen. Eine wirklich lächerliche Geschichte, wenn sie geglaubt werden soll - oder
aber eine witzige Geschichte, wenn man damit ausprobiert wollte, wieviel Leichtgläubigkeit
zu schlucken bereit ist: Wenn sie nämlich Jona und den Wal schluckt, schluckt sie alles.
Freilich, wie schon anhand der Bücher Hiob und Sprichwörter aufgezeigt, ist es nicht immer gewiß,
welche der Bücher in der Bibel von den Hebräern stammen und welche im Gegensatz dazu nur
Übersetzungen von heidnischen Texten ins Hebräische sind. Da nun das Buch Jona überhaupt nicht
von den Angelegenheiten der Juden berichtet, sondern fast ausschließlich von Heiden handelt, ist
es eher wahrscheinlich, daß es sich hierbei um ein Buch der Heiden handelt: Eines, das als Gleichnis
geschrieben worden war, um den Nonsens und den bösartigen Charakter der Bibelpropheten oder
weissagenden Priester aufzudecken und satirisch zu beleuchten.
Jona wird zunächst als ungehorsamer Prophet eingeführt, der von seiner Mission davonläuft und
Zuflucht auf einem Boot der Heiden sucht, das gerade von Joppa in Richtung Tarshish ablegt: Als
würde er dumm genug sein und annehmen, dieser armselige Trick böte ein sicheres Versteck,
wo ihn Gott nicht mehr aufspüren würde. Das Schiff gerät in einen Sturm, und die Seemänner,
alles Heiden, vermuten ein göttliches Urteil hinter dem Unglück. Sie beschließen, den Schuldigen
durch das Ziehen von Losen zu ermitteln. Das Los fällt auf den Jona. Bevor sie aber zur Auslosung
schreiten, werfen sie noch allen Ballast vom Schiff, um es leichter zum machen - während Jona,
dieser unsägliche Tropf, tief und fest im Lagerraum schläft.
Da nun das Los auf den Jona gefallen war, befragen sie ihn, wer er den sei und was er mache. Er
gibt zu, ein Hebräer zu sein und die Geschichte legt nahe, daß er seine Schuld eingestanden hat.
Was machen die Heiden? Nein, sie opfern ihn nicht unverzüglich, ohne Gnade und mitleidlos, wie es
eine Gruppe von Bibelpropheten oder Priestern an ihrer Stelle mit einem Heiden gemacht hätte,
wie es Samuel mit dem Agag oder Moses mit den Frauen und Kindern vorgeführt haben. Nein, sie
versuchen, ihn unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu retten, denn der Bericht sagt: "Trotzdem
(das heißt, obwohl Jona ein Hebräer war, ein Ausländer und darüber hinaus noch die Ursache
für das Unglück sowie den Verlust ihrer ganzen Ladung) ruderten sie so kräftig sie konnten, um an
Land zu kommen. Aber es gelang ihnen nicht, die See war zu aufgewühlt und zu stürmisch."
Immer noch wehren sie sich dagegen, das Ergebnis der Verlosung in eine Tat umzusetzen,
und so rufen sie (sagt der Bericht) den Gott an mit den Worten (Vers 14): "Wir bitten Dich, oh Herr,
wir bitten Dich, laß uns nicht wegen dieses einen Mannes umkommen, laß uns nicht unschuldiges
Blut vergießen, denn Du, oh Herr, hast getan, wie es Dir gefällt." Sie wollen also den Jona nicht
schuldig sprechen, er könnte ja immerhin unschuldig sein - gleichzeitig aber anerkennen sie das
Ergebnis der Verlosung als ein Dekret Gottes - als etwas, wie es Gott gefällt.
Die Form dieses Gebetes zeigt, daß die Heiden ein "höheres Wesen" verehrten, sie waren also
keineswegs die Götzendiener, als die sie die Juden hingestellt haben.
Der Sturm gewinnt jedoch an Stärke, die Gefahr für die Heiden selbst steigt. Also befolgen sie doch
das Los und schmeißen den Jona ins Meer, wo - so die Geschichte - ein riesiger Fisch ihn schnappt und
lebendigen Leibes verschlingt.
Wir müssen uns den Jona nun vorstellen, wie er sicher vor den Unbillen des Sturmes im Magen
dieses Fisches sitzt. Es wird uns an dieser Stelle erzählt, daß er betet. Aber das Gebet ist ein zusammen-
geflicktes Gebet, mit Versatzstücken aus verschiedenen Psalmen ohne Bezug zueinander. Sie passen zwar
allgemein zu Gefahren, aber nicht zur speziellen Situation des Jona. Es ist ein Gebet, wie es ein in den
Psalmen belesener Heide dem Jona zurechtschnipseln konnte.
Dieser Umstand allein wäre Indiz genug für die Annahme, daß die Geschichte frei erfunden ist.
Wien auch immer, das Gebet wirkt allem Anschein nach, und die Geschichte wird (plötzlich im Jargon
der Bibelpropheten) wie folgt fortgesetzt (Kapitel 2, Vers 10): "Und der Herr sprach zum Fisch,
und der Fisch spie den Jona aufs trockene Land."
Jona erhält die zweite Mission für Niniveh und macht sich auf die Reise. Wir müssen uns ihn nunmehr
als Prediger vorstellen. Man möchte ja annehmen, daß die erlittenen Qualen, die Erinnerung an seinen
eigenen Ungehorsam als deren Ursache und die wundersame Rettung aus der Gefahr ausgereicht hätten,
ihn mit einiger Sympathie und einigem Wohlwollen für diese Mission zu versehen. Was macht Jona?
Er spaziert nach Niniveh und betritt die Stadt, um sie anzuklagen und zu verfluchen (Kapitel 3, Vers 4):
"Noch vierzig Tage, und Niniveh wird zerstört sein."