Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#39)
Thomas Paine
Das Zeitalter der Vernunft
Zweiter Teil
Vorwort (a)
Ich habe im vorangegangenen Teil vom "Zeitalter der Vernunft" erwähnt, daß ich schon lange
geplant hatte, meine Gedanken über Religion zu publizieren, daß ich dieses Vorhaben
aber für eine spätere Lebensperiode aufgespart hatte und es als mein letztes Werk geplant hatte.
Die Umstände zum Jahresende 1793 in Frankreich jedoch machten mich entschlossen, die
Arbeit daran nicht länger aufzuschieben. Von den gerechten und humanen Prinzipien der Revolution,
wie sie von der Philosophie zunächst verbreitet worden waren, hatte man sich zu dieser Zeit
abgewandt. Die Idee, daß Priester Sünden vergeben können, genauso gefährlich für eine Gesellschaft
wie lästerlich gegenüber Gott, hatte - obschon sie nicht mehr zu existieren schien - jedes menschliche
Gefühl verroht und die Menschheit für alle Arten von Verbrechen vorbereitet.
Der intolerante Geist der Kirchenverfolgungen war auf die Politik übergegangen, die Revolution
im Gewand des Tribunals hatte den Platz der Inquisition eingenommen, die Guillotine den des
Scheiterhaufens. Ich sah viele meiner besten Freunde ermordet, andere täglich in die Gefängnisse
verschleppt und ich hatte allen Grund zu glauben, ja hatte sogar entsprechende Informationen
erhalten, daß eine solche Gefahr auch mir bevorstünde.
Unter diesen nachteiligen Bedingungen begann ich den vorigen Teil von "Das Zeitalter der Vernunft".
Ich hatte, nebenbei bemerkt, weder die Bibel noch das Neue Testament, um nachzuschlagen, obwohl
ich gegen beide schrieb. Ich konnte auch keine kaufen. Trotzdem habe ich ein Werk verfaßt, das kein
Bibelgläubiger, selbst wenn ihm das Schreiben leicht von der Hand ginge und er eine ganze Bibliothek
von Kirchenbüchern um sich hätte, widerlegen kann.
Gegen Ende Dezember dieses Jahres wurde ein Antrag gestellt und genehmigt, der Ausländer
vom Konvent auschloß. Es waren nur zwei in ihm, Anacharsis Cloots und ich selbst, und ich bemerkte,
daß Bourbon de l´Oise in seiner Rede zum Antrag ganz besonders mich im Auge hatte.
Da ich aufgrund dieser Tatsache verstand, daß mir wohl nur noch wenige Tage in Freiheit bleiben sollten,
setzte ich mich nieder und vollendete das Werk so schnell es möglich war. Ich hatte es gerade einmal
sechs Stunden in der Version fertiggestellt gehabt, in der es seither erschienen ist,
als die Wachen kamen - es war drei Uhr früh - und mir einen Haftbefehl gegen Ausländer präsentierten,
um mich ins Gefängnis im Luxembourg zu begleiten.
Ich fädelte es ein, auf dem Weg dorthin Joel Barlow zu besuchen, und übergab ihm das Manuskript,
denn dort schien es mir sicherer als in meinem Besitz im Gefängnis. Da ich nicht wußte, welches
Schicksal dem Verfasser und dem Werk in Frankreich bevorstünden, unterstellte ich es dem Schutz
der Bürger der Vereinigten Staaten.
Es ist nur gerecht zu erwähnen, daß die Wachleute, die ihre Befehle ausführten, und auch die
Übersetzer in ihrer Begleitung, die meine Papiere untersuchten, mich zivilisiert und sogar mit
Respekt behandelt haben. Der Aufseher des Luxembourg, der gutherzige Bennoit, zeigte mir
alle Freundschaft in seiner Macht, genauso wie seine Familie - solange er dieses Amt inne hatte.
Er wurde freilich sehr bald aus ihm entfernt, eingesperrt und unter bösartigen Anschuldigungen
vor ein Tribunal gestellt - später aber freigesprochen.
Nachdem ich etwa drei Wochen im Luxembourg verbracht hatte, wandten die damals sich in
Paris aufhaltenden Amerikaner sich geschlossen an den Konvent und verlangten meine Herausgabe
als ihr Landsmann und Freund. Der Präsident des Konvents, Vadier, der auch Präsident des
Sicherheitsausschusses war und den Haftbefehl unterschrieben hatte, lehnte jedoch mit der
Begründung ab, ich sei gebürtiger Engländer. Nach diesem Versuch hörte ich von niemand mehr
außerhalb der Gefängnismauern - bis zum Fall Robespierres, am neunten Thermidor, dem 27. Juli 1794.