Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#35)
Die beste Weise, Gott zu dienen (c)
Da nun ein echtes Wunder, wenn es eines gäbe, demselben Schicksal ausgesetzt
wäre wie eine ganz gewöhnliche Lüge, wird die Annahme, der Allmächtige könnte
sich eines Wunders bedienen, wenn doch dieses seinen Zweck nicht einmal dann erreicht,
wenn es wahr wahr wäre, immer zweifelhafter.
Wenn wir akzeptieren, daß ein Wunder eine Begebenheit ist, die so unnatürlich ist, daß
die Natur ihrer eigenen Natur zuwider handeln müßte, um sie zu bewirken, und wenn wir
auf jemand treffen der behauptet, ein solches Wunder beobachtet zu haben, so ergibt sich
eine Frage, die sich in meinem Kopf sehr leicht beantwortet: Was ist wahrscheinlicher -
daß die Natur ihren Pfad verläßt oder daß ein Mensch lügt? Zeit unseres Lebens haben wir
kein einziges Mal die Natur ihren Pfad verlassen gesehen. Aber wir haben guten Grund anzunehmen,
daß in der selben Zeit millionenmal gelogen worden ist. Die Wahrscheinlichkeit, daß besagter
Berichterstatter uns eine Lüge auftischt, ist mithin mindestens Millionen zu eins.
Die Geschichte, wie ein Wal den Jonas verschlingt, grenzt an ein Wunder. Aber es wäre ein
viel besseres Wunder, wenn Jonas den Wal geschluckt hätte. Nehmen wir das als Beispiel.
Was ist wahrscheinlicher: Daß ein Mann einen Wal verschluckt oder daß ein Mann,
der davon berichtet, wie ein Mann einen Wal geschluckt hat, eine Lügengeschichte erzählt?
Aber selbst wenn man annähme, daß Jonas den Wahl geschluckt hat und mit dem Fisch
im Bauch nach Niniveh spaziert ist, um die Leute dort davon zu überzeugen, wie wahr die
Geschichte ist, zu welchem Behufe er den Fisch wieder ausspuckt, in ganzer Länge und Pracht
eines Wals: Hätten die Leute nicht eher geglaubt, Jonas sei der Teufel und nicht der Prophet? Oder,
wenn denn der Wal den Jonas nach Niniveh geschwommen hätte und dort auf die selbe
ausspuckende Weise produziert hätte: Hätte man nicht angenommen, der Wal
wäre der Teufel, und Jonas einer seiner Kobolde?
Das erstaunlichste Wunder wird im Neuen Testament berichtet und handelt vom Teufel, wie
er mit Jesus Christus davonfliegt, ihn auf dem Gipfel eines Berges und der höchsten Mauerzinne
eines Tempels absetzt und ihm alle Königreiche auf der ganzen Welt zuerst zeigt und dann verspricht.
Wie seltsam, daß er dabei nicht Amerika entdeckt hat. Oder ist seine rußige Durchlaucht nur
an Königreichen interessiert?
Ich habe zu großen Respekt vor dem Charakter von Jesus Christus um glauben zu können, daß
er ein so fischiges Wunder selbst erzählt hat. Auch ist nicht klar, zu welchem Zweck man ein
solches Wunder fabriziert haben sollte - man nähme denn an, es wäre nur dazu, um die Connoisseurs
der Mirakel an der Nase herumzuführen, wie man es manchmal mit den Connoisseurs der Fürze
von Queen Anna aufführt oder mit den Sammlern von Reliquien oder Antiquitäten. Oder um den
Glauben an Wunder abzuschaffen, indem man sie lächerlich macht, so wie Don Quixote das
Rittertum lächerlich gemacht hat. Oder um den Glauben an Wunder dadurch zu blamieren, indem
man es zweifelhaft erscheinen läßt, welche Macht sie hervorruft - die Gottes oder die des Teufels.
Es bedarf allerdings ein gutes Stück Glauben an den Teufel, um obiges Wunder zu schlucken.
Wie man diese Dinge, Wunder genannt, auch betrachtet, von welchem Gesichtspunkt man sie
diskutiert und bedenkt - es ist unwahrscheinlich, daß sie wahr sind, und es ist unnötig, daß sie
existieren. Sie hätten keinen nützlichen Zweck, selbst wenn sie wirklich und wahr wären. Denn
es ist viel schwieriger, an ein Wunder zu glauben als an ein Prinzip, daß auch ohne Mirakel
so augenscheinlich moralisch ist.
Ein moralisches Prinzip spricht für sich selbst, universell. Wunder hingegen sind ein Ding
des Augenblicks und nur wenigen sichtbar. Nachdem sich ein Wunder ereignet hat, bedarf es eines
Transfers vom Glauben an Gott zum Glauben an einen Menschen, wenn man nämlich dem
Bericht eines Menschen über das Wunder glauben soll. Anstatt also die Erzählungen von
Wundern als Beweismittel dafür zuzulassen, wie wahr eine Religion ist, sollten Wunder als
Symptome dafür gelten, daß sie ein Märchen ist. Die volle und aufrechte Wahrheit muß
eine solche Krücke ebenso verschmähen wie es im Charakter eines Märchens liegt, eine
Hilfe zu suchen, welche die Wahrheit ausschlägt. So viel zu Mysterien und Wundern.
In gleichem Maß, wie Mysterien und Wunder sich der Vergangenheit annahmen, beschäftigte
sich die Propheterei mit der Zukunft und rundete so die Zeitenfolge des Glaubens ab. Es reichte
nicht zu wissen, was geschehen war, nein, man mußte auch wissen, was geschehen würde.
Der vermeintliche Prophet war der Historiker des Zukünftigen. Wenn er zufällig,
mit seinem riesigen Bogen von tausenden Jahren Ziel nehmend, nur cirka tausend Meilen daneben
schießen würde, so würde der Scharfsinn der Nachwelt dafür sorgen, einen Treffer zu registrieren.
Wenn er hingegen komplett daneben läge, so kann man nur annehmen, wie zum Beispiel im
Falle von Jonas und Niniveh, daß Gott, von plötzlicher Reue übermannt, es sich anders überlegt hat.
Wie doch Märchensysteme Menschen zu Narren machen!
Photo: Durham Cathedral