Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#34)
Die beste Weise, Gott zu dienen (b)
Die Menschheit hat sich gewisse Gesetze zurechtgelegt, nach denen das, was sie die Natur
nennt, funktioniert. Ein Wunder ist in diesem Sinne etwas, was der Operation oder den
Effekten dieser Gesetze zuwiderläuft. Aber solange wir diese Gesetze und die sogenannten
Naturkräfte nicht zur Gänze kennen, können wir gar nicht urteilen, ob eine uns wundervoll
oder mirakulös erscheinende Begebenheit sich im Rahmen, im Widerspruch oder außerhalb
dieser natürlichen Gesetze ereignet.
Daß ein Mensch einige Meilen weit in den Himmel aufsteigen kann, weist alle Kennzeichen
auf, die ein Wunder konstituieren könnten, wüßte man nicht, wie man eine Sorte Luft
erzeugen kann, die einiges leichter als die normale atmosphärische Luft ist und dabei doch
eine Spannkraft besitzt, die das Zusammenfallen eines Ballons verhindert, in dem sie
eingeschlossen und von der umgebenden Luft zusammengedrückt wird.
Auf die selbe Weise erschiene es als ein Wunder, wie man aus dem menschlichen Körper
Funken schlagen und Blitze ziehen kann, so deutlich sichtbar wie jene aus dem Kontakt
zwischen Stahl und Feuerstein, oder wie man ein Stück Eisen ohne sichtbaren Kontakt
bewegen kann, wüßten wir nicht bereits um Elektrizität und Magnetismus: Und so ist es mit
vielen Experimenten aus der Naturphilosophie, die den mit ihnen Unvertrauten als Wunder
erscheinen mögen.
Die Wiedererweckung von Personen, die allem Anschein nach tot waren, wie man es heute
zum Beispiel an Ertrunkenen praktiziert, wäre ebenso ein Wunder, wüßte man nicht, wie
manchmal das Leben aussetzt, ohne ganz zu erlöschen.
Und darüber hinaus gibt es allerhand Taschenspielertricks und Personen, die sich zum Zweck
solcher zusammentun, die dann den Anschein eines Wunders haben: Wenn man aber dahinter
kommt, sind sie nur lächerlich. Nicht zu vergessen alle möglichen optischen und
mechanischen Täuschungen. Es gibt zur Zeit eine Ausstellung über Geister und Phantome
in Paris, die ohne die Zuseher damit betrügen zu wollen doch nichts desto weniger erstaunlich ist.
Kurz, da wir nicht wissen, wie weit Kunst oder Natur zu gehen imstande sind, gibt es kein
positves Kriterium, an dem wir die Definition eines Wunders festmachen können, und die Menschen
sind stets betrogen, wenn sie an Phänomene als Wunder glauben.
Da also Erscheinungen uns so leicht täuschen und unechte Dinge den echten zum Verwechseln
ähnlich sind, ist nichts ungereimter als die Annahme, der Allmächtige bediente sich genau dieses
Mittels der Wunder, sodaß jeder, der sie ausführt, als Betrüger verdächtigt werden muß, jeder, der sie
weiterzählt, sich dem Verdacht der Lüge aussetzt und die Lehre, die man mit ihrer Hilfe zu
unterstützen trachtet, als märchenhafte Erfindung abgetan werden muß.
Von allen Beweismitteln, die je erfunden worden sind, um die Menschen an ein System oder
an Meinungen unter dem Titel Religion glauben zu machen, sind die Wunder,
so erfolgreich der Betrug auch gewesen sein mag, das Dümmste.
Erstens - sobald man auf ein Theater zurückgreifen muß, um einen Glauben zu verkaufen
(was immer das Wort Wunder meinen mag, es ist immer ein Theater),
impliziert man damit eine gewisse Lahmheit und Schwäche der gepredigten Doktrin selbst.
Und zweitens degradiert man den Allmächtigen damit auf die Position eines Zeremonienmeisters,
der mit seinen Zaubertricks die Menge amüsiert und die Menschen auf seine Wunder glotzen läßt. Es
ist auch das dubioseste Beweismittel für eine Religion, das man kreieren kann: Denn der Glaube
kann so nicht vom "Wunder" genannten Ding selbst abhängen, sondern hängt nur davon ab,
wie glaubwürdig der Berichterstatter ist, der von ihm erzählt. Wäre das Ding auch wahr, es hätte
keine größere Chance geglaubt zu werden als eine simple Lüge.
Nehmen wir an, ich würde erzählen, daß gerade in dem Augenblick, als ich mich anschickte, dieses
Buch zu schreiben, eine Hand in der Luft erschienen sei, mir die Feder abgenommen und
jedes einzelne Wort geschrieben habe, daß hier gedruckt ist. Würde mir auch nur irgendjemand
glauben? Sicher nicht. Würde mir nur um ein Gran mehr geglaubt werden, wenn es sich
um eine Tatsache handeln würde? Ebenso sicher nicht.