Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#27)

Ein Vergleich des Christentums mit dem Pantheisums (b)


Von der Zeit an, als ich eine Idee verstehen und ihr gemäß handeln konnte,

bezweifelte ich die Wahrheit des christlichen Systems oder hielt es zumindest für

eine sehr seltsame Angelegenheit. Was genau mich störte, wußte ich

nicht, aber ich erinnere mich noch gut, wie ich im Alter von ungefähr sieben Jahren

einen Verwandten von mir, der ein devoter Anhänger der Kirche war, eine Predigt lesen hörte,

die von der Erlösung durch den Tod von Gottes Sohn handelte.


Nach der Predigt ging ich in den Garten, und als ich die Gartenstufen hinunterstieg

(ich erinnere mich noch ganz genau an den Platz), empörte ich mich bei dem Gedanken

an das, was ich gerade gehört hatte. Ich dachte mir, daß man Gott den Allmächtigen als

einen von seinen Leidenschaften getriebenen Mann darstellte, der seinen Sohn umbrachte,

weil er sich auf keine andere Weise zu rächen wußte; und da ich mir sicher war, daß ein

Normalsterblicher für eine solche Tat an den Galgen käme, war mir nicht klar,

wozu man uns solche Predigten vorlas.


Das war nicht einer der üblichen leichtsinnigen und kindlichen Gedanken, für mich war das

eine ernste Überlegung, die von der Idee gespeist war, daß Gott zu gut ist für eine solche

Tat und zu allmächtig, um in irgendeiner Art und Weise zu ihr gezwungen zu sein. Ich glaube

das immer noch. Mehr noch, ich glaube, daß kein Religionssystem, das die Gedanken eines

Kindes schockiert, wahr sein kann.


Es scheint, als schämten sich Eltern christlichen Glaubensbekenntnisses, ihren Kindern auch

nur irgendetwas von den Prinzipien ihrer Religion zu erzählen. Sie unterweisen sie in Moral

und sprechen mit ihnen über das Gute in der sogenannten Vorsehung, denn die christliche

Mythologie hat fünf Gottheiten: Gott Vater, Gott Sohn, Gott der Heilige Geist, Gott die

Vorsehung und die Göttin Natur. Freilich, die christliche Geschichte von einem Gott Vater, der seinen

Sohn umbringt oder jemand anheuert, diesen Mord auszuführen (denn das ist die Geschichte

im Klartext), kann einem Kind nicht erzählt werden. Ihm zu erklären, daß dies nur

geschah, um die Menschheit glücklicher und besser zu machen, macht die Geschichte ja nicht

besser: Als ob die Menschheit durch das Beispiel eines Mordes verbessert werden könnte.

Ihm zu sagen, all dies sei in Wahrheit ein Mysterium, ist nicht mehr als eine schlechte Ausrede

für ein unglaubwürdiges Märchen.


Wie groß ist der Unterschied zum klaren und einfachen Bekenntnis des Deismus! Der wahre

Deist hat nur eine Gottheit, und seine Religion besteht darin,  Macht, Weisheit und

Wohltätigkeit Gottes in seinen Werken zu betrachten und zu versuchen, ihm in Moral und

Wissen gleichzutun.


Die Religion, die wahrem Deismus von allen am nächsten kommt, wenigstens was Mildtätigkeit

und Moral angeht, ist das Bekenntnis der Quäker. Aber sie schränken sich zu sehr damit ein,

die Werke Gottes aus ihrem System auszuschließen. Obschon ich ihre Philanthropie bewundere,

muß ich doch beim Gedanken daran lächeln, wie still und eintönig eine Schöpfung ausgefallen wäre,

hätte man die Quäker bei ihrer Erschaffung zu Rate gezogen: Keine Blumen hätten ihr Heiterkeit

verliehen, und den Vögeln wäre das Singen verboten.


Aber weiter. Als ich mich mit dem Gebrauch von Globen und dem Orrery* vertraut gemacht hatte,

die Idee von der Unendlichkeit des Raumes sowie von der ewigen Teilbarkeit der Materie begriff und

zumindest ein Allgemeinwissen in der Naturphilosophie erworben hatte, begann ich, die darin

enthaltenen ewigen Beweise mit dem Christentum zu vergleichen - oder, wie schon eingangs gesagt,

letzteres mit ersten zu konfrontieren.


Obwohl er nicht unmittelbar Gegenstand des christlichen Systems ist, so ist der Glaube,

daß diese von uns bewohnte Welt die einzige in der gesamten Schöpfung ist, doch so sehr

mit diesem System verwoben, wie es sich aus dem mosaischen Schöpfungsbericht, der Geschichte

mit Eva und dem Apfel und ihrem Gegenstück, der Geschichte vom Tod des Sohnes Gottes, ergibt,

daß der Glaube an das Gegenteil, also an eine von Gott erschaffene Vielheit von Welten, vielzählig

wie die Sterne am Himmel, dieses christliche Glaubenssystem sofort als winzig und lachhaft entlarvt

und im Kopf zerstiebt wie Federn im Wind. Diese beiden Glauben haben nicht Platz im

selben Gehirn, und wer doch denkt, daß er an beides glaubt, hat sich mit keinem von beiden

wirklich auseinandergesetzt.


*Da dieses Buch in die Hände von Lesern fallen könnte, die nicht wissen, was ein Orrery ist,

sei an dieser Stelle eine Erklärung angefügt - der Name gibt ja nicht sehr viel Aufschluß über

das Ding: Das Orrery hat seinen Namen von seinem Erfinder. Es ist eine Art Uhrwerk, die das

Universum im Kleinen darstellt, wo also die Bewegung der Erde um ihre eigene Achse und um

die Sonne, die Bewegung des Mondes um die Erde, die Bewegung der Planeten um die Sonne,

ihre relative Entfernung zueinander und zur Sonne als Zentrum des Systems

sowie ihre Größen maßstabsgetreu nachgebildet sind, so wie all das am wirklichen Himmel existiert.


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