Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#21)
Wahre Theologie und Aberglaube (b)
Ein Beispiel: Jeder, der in einem Almanach blättert, wird darin Ausführungen
über die nächste Sonnenfinsternis finden. Man wird auch finden, daß diese
Sonnenfinsternis genauso stattfindet wie beschrieben. Das zeigt, daß die Menschen
sich mit den Bewegungsgesetzen der Himmelskörper vertraut gemacht haben.
Es wäre freilich mehr als ignorant, wollte eine Kirche behaupten, es handelte sich bei
diesen Gesetzen um menschliche Erfindungen.
Es wäre ebenso ignorant, die wissenschaftlichen Prinzipien, aufgrund deren es den
Menschen möglich ist, eine Sonnenfinsternis zu berechnen und vorherzusagen, eine
menschliche Erfindung zu nennen: Die Menschen können nichts erfinden, was ewig
und unveränderlich ist; die wissenschaftlichen Prinzipien, die sie anwenden, müssen
ebenso ewig und unveränderlich sein wie die Gesetze, denen die Himmelskörper folgen,
andernfalls sie nicht zur Berechnung und Vorhersage einer Sonnenfinsternis
dienen können.
Diese wissenschaftlichen Prinzipien, deren sich die Menschen bedienen, wenn sie eine
Sonnenfinsternis vorhersagen oder sonst ein Ereignis auf dem Gebiet der Himmelskörper,
sind weitenteils in jenem Part der Wissenschaften enthalten, die man Trigonometrie nennt:
Angewandt auf die Bewegung der Himmelskörper nennt man sie Astronomie. Angewandt
auf den Kurs von Schiffen Navigation. Verwendet man sie zur Konstruktion von Figuren
nach bestimmten Regeln, wird sie Geometrie genannt. Trägt sie zur Konstruktion
von Plänen oder Gebäuden bei, handelt es sich um Architektur. Landvermessung heißt sie,
werden ihre Prinzipien auf die Vermessung der Erdoberfläche angewandt. Kurz - sie ist
die Seele der Wissenschaften, eine ewige Wahrheit, sie enthält mathematische Beweise,
und das gesamte Ausmaß ihrer Nützlichkeit ist noch unbekannt.
Man kann sagen, daß Menschen ein Dreieck machen oder zeichnen können, und daß
mithin ein Dreieck eine menschliche Erfindung ist.
Aber das Dreieck, einmal gezeichnet, ist nichts anderes als ein Abbild des Prinzips, eine
Skizze für das Auge, von wo es in den Geist gelangt - sonst wäre dieses Prinzip nicht
wahrnehmbar. Das Dreieck macht das Prinzip ebensowenig wie eine Kerze,
in einen dunklen Raum getragen, Tisch und Sessel macht, die davor unsichtbar waren.
Alle Eigenschaften des Dreiecks existieren unabhängig von der Figur und haben schon
existiert, lange bevor ein Mensch ein Dreieck gezeichnet oder sich ausgedacht hat.
Die Menschen hatten mit der Entwicklung dieser Eigenschaften und Prinzipien
genausowenig zu tun wie mit der Entstehung der Himmelsgesetze:
Aus diesem Grund müssen die einen denselben göttlichen Ursprung haben wie die anderen.
Wie man behauptet, daß die Menschen ein Dreieck machen können, so kann
auch gesagt werden, daß sie eine mechanische Vorrichtung machen können, die man
einen Hebel nennt. Freilich, das Prinzip, aufgrund dessen ein Hebel funktioniert, ist eine
vom Instrument verschiedene Sache, und es würde auch existieren, gäbe es keinen
vom Menschen geschaffenen Hebel. Es gehört zum Hebel, sobald dieser gemacht
worden ist: Er kann nicht anders funktionieren - keine noch so großen
Mühen menschlicher Erfindungskunst können ihn dazu bringen, anders zu funktionieren:
Was in all diesen Fällen von den Menschen Effekt genannt wird,
ist nichts anderes als ein den Sinnen wahrnehmbar gewordenes Prinzip.
Photo: North Norfolk Coast von der Poppy Line