Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#19)
Über Gott, und in welches Licht die Bibel seine Existenz und
seine Eigenschaften rückt (b)
Alle Anspielungen im Buch Hiob haben die selbe Tendenz wie dieser oben zitierte Psalm:
Eine Wahrheit, die ansonsten unbekannt bleiben würde, wird aus bereits
bekannten Wahrheiten abgeleitet oder bewiesen.
Ich kann mich nicht gut genug an die Passagen im Buch Hiob erinnern, um sie
anzuführen. Ich denke an eine ganz bestimmte, die gut zu dem hier
diskutierten Thema paßt: "Kannst du Gott finden, wenn du ihn suchst? Kannst
du genau bestimmen, was der Allmächtige ist?"
Ich weiß nicht, wie diese Passagen gesetzt sind, weil ich keine Bibel besitze. Aber
sie enthalten zwei ganz deutliche Fragen, die deutliche Antworten verdienen.
Erstens: Kannst du Gott finden, wenn du ihn suchst? Ja. Weil erstens weiß ich,
daß ich mich nicht selbst geschaffen habe, und trotzdem existiere ich. Und durch weitere
Untersuchung der Natur anderer Dinge werde ich herausfinden, daß auch diese
sich nicht selbst hervorgebracht haben können. Dennoch existieren Millionen anderer
Dinge: Daraus kann ich positiv schließen, daß es eine Macht gibt,
größer als all dies: Und diese Macht ist Gott.
Zweitens: Kannst du genau bestimmen, was der Allmächtige ist? Nein. Nicht nur,
weil die Macht und Weisheit, die sich in der mir zugänglichen Schöpfung manifestiert,
mir unbegreiflich ist, sondern weil aller Wahrscheinlichkeit nach diese Schöpfung,
so großartig sie sein mag, nur einen Bruchteil dessen darstellt, was an Millionen anderer
Welten anderswo und mir unsichtbar geschaffen worden ist und weiter existiert.
Offenbar richteten sich diese beiden Fragen an die Vernunft dessen, an den sie
vermutlich adressiert waren: Nur wenn man die erste Frage sicher bejahen kann,
macht die zweite Sinn. Es wäre unnötig, ja absurd gewesen, diese zweite und
schwierigere Frage zu stellen, wenn die erste mit Nein zu beantworten gewesen wäre.
Die zwei Fragen haben zwei gänzlich verschiedene Themen. Die erste beschäftigt
sich mit der Existenz Gottes. Die zweite mit seinen Eigenschaften. Die eine kann
die Vernunft beantworten, für das riesige Ausmaß der anderen aber
fehlt ihr bei weitem die Kraft.
Mir fällt keine einzige Stelle in all den Schriften ein, die den sich selbst Apostel nennenden
Herrschaften zugeschrieben wird, die uns auch nur eine einzige Idee davon liefert, was Gott ist.
Diese Schriften sind in erster Linie widersprüchlich. Und die Themen, die sie elaborieren -
nämlich die Leidensgeschichte eines Mannes, der am Kreuz stirbt -
scheinen eher zum trübseligen Geist eines Zellenmönches zu passen,
von dem sie wahrscheinlich auch verfaßt worden sind, als zu einem Menschen,
der die freie Luft der Schöpfung atmet.
Die einzige Stelle mit einem Bezug zum Werk Gottes (wodurch allein seine Macht und
seine Weisheit erkennbar werden), die mir einfällt, wird Jesus Christus zugeschrieben.
Er soll das Folgende als ein Mittel gegen argwöhnische Sorge gesagt haben:
"Sehet die Lilien auf dem Felde - sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht."
Freilich reicht das nicht an die Anspielungen im Buch Hiob oder an den 19. Psalm heran -
aber es folgt einem ähnlichen Gedanken, und die Bescheidenheit des Vergleiches
paßt gut zur Bescheidenheit des Mannes.
Photo: Bei Ringland im Wensum Valley, Norfolk