Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#12)

Über das Neue Testament (b)


Die Art und Weise, in der er festgenommen wurde, zeigt, daß er in seiner Zeit

wenig bekannt gewesen ist. Sie zeigt auch, daß die Treffen,

die er damals mit seinen Getreuen abhielt, im Geheimen stattgefunden haben

und daß er das öffentliche Predigen aufgegeben hatte: Denn wie sonst hätte

ihn Judas dadurch verraten können, daß er Informationen über den

Aufenthaltsort Jesu weitergab und ihn den Beamten verriet, die ihn hierauf

arretierten. Der Grund dafür, Judas für diese Informationen zu bezahlen, konnte

nur die bereits angeführte Tatsache sein, daß Jesus nicht weithin bekannt war

und im Verborgenen lebte.


Die Vorstellung von einem sich versteckenden Jesus paßt nicht nur nicht sonderlich

gut zu seiner angeblichen Göttlichkeit, sie hat auch etwas von einer Verzagtheit an sich.

Und daß er verraten wurde, oder, um es anders auszudrücken, der Umstand, daß

er nur aufgrund von Informationen eines seiner Gefolgsleute geschnappt werden konnte,

zeigt auch, daß er keineswegs vorgehabt hatte, festgenommen zu werden - und folglich, daß

er ebensowenig geplant hatte, gekreuzigt zu werden.


Die christlichen Mythologen machen uns weis, daß Christus um der Sünden der

Welt willen gestorben sei und daß er auf die Welt gekommen sei um zu sterben.

Hätte er dann nicht ebensogut an einem Fieber, an den Windpocken,

an Altersschwäche oder an sonstwas sterben können?


Die Feststellungsklage, welche ihrer Aussage nach gegen Adam erhoben wurde

für den Fall, daß er einen Apfel jausnen sollte, sagte doch sicher nicht Deiner harrt

die Kreuzigung, sondern Deiner harrt der Tod: Sie enthielt ein Todesurteil,

aber keine Bestimmung der Sterbensart.

Die Kreuzigung war also, genausowenig wie jede andere Art des

Sterbens, nicht Teil des Urteils gegen Adam, und demzufolge konnte sie auch nicht

in dem Urteil gegen Jesus enthalten sein, das besagte, Jesus habe an Stelle Adams

für die Menschheit zu leiden. Nicht einmal in den diesen Mythologen eigenen Winkelzügen.

Ein Fieber konnte den Zweck genausogut erfüllen wie ein Kreuz, je nach Gelegenheit.


Ein Todesurteil, wie es in diesen Geschichten gegen Adam verhängt wurde, mußte entweder

davon sprechen, eines natürlichen Todes zu sterben, das heißt: aufhören zu leben, oder

das meinen, was die Mythologen Verdammung nennen. Logischerweise muß also der

Akt des Sterbens, dem sich Jesus Christus unterzogen hat, dazu dienen, Adam oder

uns vor einem dieser Dinge zu bewahren - dem Mythologensystem zufolge wenigstens.


Daß er unser Sterben nicht verhindert hat, ist evident: wir sterben alle.

Und wenn ihre Berichte über Langlebigkeit stimmen sollten, sterben wir Menschen seit der

Kreuzigung sogar schneller als davor.

Was die zweite Erklärung angeht (inbegriffen die Aussage vom natürlichen Tod

von Jesus Christus als Ersatz für den ewigen Tod oder die Verdammung

der gesamten Menschheit), so stellt sie recht unverschämt den Schöpfer als einen dar,

der sein Urteil durch eine Haarspalterei über das Wort Tod annulliert oder zurückzieht.


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