Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#1)
Des Autors Glaubensbekenntnis
Ich habe schon seit Jahren vor, meine Gedanken über Religion zu veröffentlichen.
Natürlich bin ich mir über die Schwierigkeiten im Klaren, die mit diesem Thema
verknüpft sind, weshalb ich ein solches Unterfangen für eine spätere Periode
meines Lebens aufgespart hatte. Ich plante diese als meine letzte Schrift für meine
Mitbürger aller Nationen - und für eine Zeit, in der die Reinheit meiner Motive
selbst für diejenigen außer Zweifel stehen würde, die das Werk selbst ablehnen sollten.
Was sich nun in Frankreich ereignet hat, nämlich die Abschaffung des gesamten
nationalen Priesterordens nebst allem, was zum Zwangssystem der Religion
und zu erzwungen Glaubensartikeln gehört, hat meine Entscheidung nicht nur
bekräftigt, sondern macht ein Werk dieser Art außerordentlich notwendig:
Damit wir nicht in diesem Wrack des Aberglaubens, falscher Regierungssysteme
und falscher Theologie die Moral, die Menschlichkeit und eine Theologie aus den
Augen verlieren, die wahr ist.
Weil mir einige meiner Kollegen und andere Mitbürger Frankreichs mit ihrem Beispiel
vorangegangen sind, ein freiwilliges und persönliches Glaubensbekenntnis zu machen,
will ich hier also auch meines machen; und ich mache das in aller Aufrichtigkeit
und Freimütigkeit, in der sich die Gedanken eines Menschen mit sich selbst unterhalten.
Ich glaube an eine Gottheit, und nicht mehr; und ich hoffe auf Glück nach diesem Leben.
Ich glaube an die Gleichheit der Menschen; und ich glaube, daß die religiöse Pflichten
darin bestehen, Gerechtigkeit und liebevolle Gnade zu üben - und sich darum zu bemühen,
unsere Artgenossen glücklich zu machen.
Aber damit nicht unterstellt wird, daß ich zusätzlich noch an viele andere Dinge glaube,
werde ich im Verlauf dieses Werkes diejenigen Dinge erklären, an die ich nicht glaube,
nebst meinen Gründen dafür, nicht an sie zu glauben.
Ich glaube nicht an das Bekenntnis der jüdischen Kirche, der römisch Kirche,
der griechisch Kirche, der türkischen Kirche, der protestantischen Kirche - oder
irgendeiner anderen Kirche, die ich kenne. Mein eigener Verstand ist meine Kirche.
Alle staatlich eingerichteten Kirchen, ob jüdisch, christlich oder türkisch, scheinen
mir nichts anderes zu sein als Erfindungen der Menschen - errichtet, um die Menschheit
zu terrorisieren und zu versklaven: und um Macht und Gewinn an sich zu reißen.
Ich möchte mit dieser Deklaration nicht diejenigen verurteilen, die an etwas
anderes glauben; sie haben das selbe Recht zu ihrem Glauben wie ich zu meinem.
Aber es ist für das Glück des Menschen notwendig, daß er sich selbst
und seinen Gedanken treu ist. Veruntreuung besteht nicht in Glauben oder Unglauben:
Sie besteht darin, das zu bekennen, was man nicht glaubt.
Es ist unmöglich, den sittlichen Schaden, wenn ich so sagen darf, anzugeben, den
das Gedankenlügen in der Gesellschaft angerichtet hat. Wenn ein Mensch die Reinheit
seiner Gedanken so weit verdorben und prostitutiert hat, daß er in seinem
berufsmäßigen Glauben Dinge erklärt, an die er selbst nicht glaubt, dann hat er sich
darauf vorbereitet, auch jedes beliebige andere Verbrechen zu begehen.
Er übernimmt eine Priesterstelle um des Gewinns willen, und um sich für
diese Stelle zu qualifizieren, leistet er einen Meineid. Können wir uns etwas
Schädlicheres für die Moral vorstellen als das?
Bald nachdem ich mein Pamphlet "Common Sense" in Amerika veröffentlicht hatte,
erkannte ich die außerordentliche Wahrscheinlichkeit, daß auf eine Revolution des
Regierungssystems eine Revolution des Religionssystems folgen würde.
Die sündhafte Verbindung zwischen Kirche und Staat, wo immer sie stattfand
und egal ob jüdisch, christlich oder türkisch, war durch Quälerei und Bestrafung
so erfolgreich im Verhindern einer jeden Diskussion über die gängigen
Glaubensbekenntnisse und Grundprinzipien der Religion,
daß diese Themen nicht offen und ordentlich der Welt vorgelegt
werden konnten, bevor nicht das Regierungssystem geändert würde.
Freilich, wenn erst diese Änderung erfolgt wäre,
so würde eine Revolution im Religionssystem folgen.
Von Menschen Erfundenes und das Priestertum würden aufgedeckt,
und der Mensch würde zum reinen, unvermischten und sündenfreien
Glauben an eine Gottheit - und nicht mehr - zurückkehren.
Photo: North Norfolk Coast bei Weybourne