text #4 Bürgersteig #1
Von Martin Krusche
Raus aus der Wohnung, runter die Stiegen,
rüber zum Platz, dann stehe ich
auf dem Bürgersteig". Was für ein
drolliger Begriff aus alten Tagen. Das zeitgemäße Wikipädia" gibt darüber
keine Auskunft. Selbst mein ausufernder Brockhaus bleibt wortkarg.
Freilich herrschen in der Stadt Vorstellungen,
was und vor allem wer mit Bürger" gemeint ist. Sie wissen bestimmt aus eigener
Erfahrungen, wir Menschen neigen dazu, Hierarchien zu bilden und träumen uns dann meist
flott an die Spitze der Pyramide, wo der Platz eng und die Luft dünn sein soll.
Das ist ein Spielchen rund um die Frage Wer ist
drinnen und wer ist draußen?" Aufsteigen. Sich rauf arbeiten. Es geschafft haben.
Demokratie hin, Republik her, der Großteil meine Mitmenschen stammt von Leuten, welche
über Jahrtausende Untertanen gewesen sind. Diesen
Untertanen-Geruch" kriegt man nicht in drei Generationen weg.
Ein Bürger" war einst Verteidiger und Bewohner
der Burg". Dieses herrschaftliche Motiv wird natürlich bis in die Gegenwart
simuliert. Rang. Würde. Einfluß. Geltung. Wem ist das völlig wurscht? Bitte aufzeigen!
Die Bandbreite reicht dann, wie man an den Theken in der Stadt leicht überprüfen kann,
von der respektablen Persönlichkeit bis zum lächerlichen Spießbürger.
Der Herausgeber dieser Zeitschrift hat mich eingeladen, in
meinen Kolumnen dieses Grundmotiv am Beispiel der Stadt Gleisdorf abzuklopfen, zu
beleuchten. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. (© Don Vito Corleone) Um so mehr,
als ich selbst ein Proletenkind bin, Sproß einer Familie, deren bessergestellter Teil
einst situiertes Bürgertum war, wirtschaftlich abgerutscht ist und so in erwartungsvoller
Gefolgschaft den Nazi anhing, woraus letztlich dann etwas wie ich wurde.
Wenn ich auf die Schnelle etwas über das Niveau der
Gleisdorfer Eliten erfahren möchte, rede ich ein paar Takte mit einem Bankdirektor, einer
Psychotherapeutin oder mit einem Verkehrsaufsichtsorgan" im Range von
Park-Sheriffs". Dann weiß ich sofort, wo die Noblesse wohnt.
Nicht daß da Namen genannt würden. Das verbieten
Berufsethos und Bürgerliches Gesetzbuch. Aber über Tendenzen in der Stadt läßt sich
viel erfahren. Mich interessiert angewandte Heuchelei" oder Borniertheit
für Fortgeschrittene" allerdings keineswegs bloß am Beispiel lokaler Eliten. Ich
denke auch gerne an größere Zusammenhänge. Da etwa viel von Europa die Rede ist, auch
von den Werten des Abendlandes", welche gerne als bedroht angesehen werden.
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