kunst O.ST (labor) LEADER: notizen #2 Zu den amüsantesten Erfahrungen, die ich immer wieder mache,
gehört folgende: Mit einer Art treuherzigem Augenaufschlag höre ich von einem
kunstbeflissenen Gegenüber: "Ach so? Du bist auch Künstler? Ich seh dich ja
eigentlich mehr als Netzwerker; so wie einen Kulturpolitiker."
Da haben wir Jahrzehnte hinter uns, in denen wir Menschen auf anderen Feldern unsere
Skepsis gegenüber sogenannten "Fachidioten" zuriefen. Nicht ohne treuherzigem
Augenaufschlag wurde bei solchen Gelegenheiten oft betont, wie unverzichtbar
"ganzheitliche Betrachtungsweisen" seien. Die Dinge dürften nicht isoliert
gesehen werden, sondern hätten ihre Bedeutung in größeren Zusammenhängen.
Aber unter den nämlichen Leuten, die solche Klugheit erworben haben, finde ich recht
oft Kunstschaffende, die mit warmem Tonfall betonen: "Ja, die Kunst, weißt du,
das ist eine große Aufgabe. Und ich kann mich da nicht von anderen Dingen ablenken
lassen."
Machen wir es kurz:
Sowas fällt für mich unter die Praxis der Heuchelei und handelt meist auch davon, daß
sich Menschen auf genau diese Art als Bürgerinnen und Bürger, als politisch anwesende
Personen, selbst suspendieren.
Paßt schon! In einer Demokratie darf man ja alles sein, was nicht von Gerichten
geahndet wird. (Und selbst das gehört irgendwie dazu.) Ich vermute freilich, der Anspruch
auf Finanzierung aus öffentlichen Mitteln bedarf in solchen Fällen erheblicher
Kreativität.
Ich will das nun hier nicht weiter strapazieren. Meine Kunst ist eine Sache,
die sich, wie schon erwähnt, zur Zeit hauptsächlich im Bereich von "next code" ereignet. Meine
kulturpolitischen Reflexionen sind das Andere, teils im "next code: log"
notiert, teils auf dieser Leiste:
Wie erwähnt: Gegenwartskunst, Alltagskultur, soziale Themen ... wir stehen in dieser
LEADER-Region ("Energie-Region Weiz-Gleisdorf) am Anfang, solche Verknüpfungen in
formeller Kooperation mit regionalen Stellen UND Landes-Instanzen zu realisieren. Aber wir
stützen uns dabei auf einen satten Vorlauf.
Künstler Christian
Eisenberger
Auch 2008 erreichten wir wieder eine Kooperation mit dem Festival "steirischer
herbst", die wir diesmal von Gleisdorf nach Weiz verzweigt haben. [link] Eine sehr
wichtige Erfahrung war weiters für einen größeren Kreis von engagierten Leuten die
Ausstellung von Werken mehrerer Künstler aus dem Kosovo. [link]
(Dabei hatten wir eine schöne Praxis des Zusammenwirkens der drei Sektoren "Staat,
Markt und Zivilgesellschaft".)
Momentan arbeite ich in Gleisdorf (Stichwort: Alltagskultur!) an einer Ausstellung von
"Spiel & Spielzeug" mit: [link] Und im "Labor" der soziokulturellen Drehscheibe
"kunst O.ST" wird intensiv an zeitgemäßen Modi gearbeitet, um in einigen
Bereichen die Behauptung "Provinz war gestern!" verläßlich zu
rechtfertigen: [link]
Alltagskultur. Alltagswelten. Es gehört zu den deprimierenden Mißverständnissen des
Kulturbetriebes, Ausstellungen in irgendwelchen Gängen zwischen Türen und Fenster zu
montieren. Es sind daher für ihre Zwecke gut gerüstete Orte der Kunstpräsentation
wichtig, Notwendig. Eben auch abseits des Landeszentrums.
Auf der anderen Seite ist es sinnvoll und interessant, Kunstprojekte sehr bewußt und
mit dafür vorgesehener Konzeption in die Räume des Alltagslebens von Menschen zu setzen.
Eine Variante zwischen solchen Optionen ist der Gleisdorfer "einraum". [link]
Als Galerie nutzbar, aber konzeptionell eher ein "Möglichkeitsraum", welcher
im alten Zentrum der Stadt besteht und durch ein groß angelegtes Fenster zur Straße hin
recht offen, also "niedrigschwellig". Ein Raum, den versierte Leute vielfältig
nutzen können, den aber auch Neulinge zu bewältigen vermögen.
Von links: Sigris Meister
(Kustodin des "Museum im Rathaus"),
Christa Ecker-Eckhofen (Keramikerin), Christoph Stark (Bürgermeister Gleisdorfs)
und Barbara Lukas (Geschäftsfrau, "einraum") bei der ersten LEADER
Kulturkonferenz
Dieser "einraum" wird von der Geschäftsfrau Barbara Lukas betrieben. Als
Zone des (kulturellen) Experiments. Wir haben kürzlich folgende Überlegungen angestellt:
Unser aller Denken ist ganz stark vom Modell der mittelalterlichen Stadt geprägt. Kirche,
Palais und Marktplatz sind von der schützenden Stadtmauer umgeben. Vor den Toren der
Stadt ist die Wildnis. Dieses Denkmodell ist mehr als passé.
Nun hat zum Beispiel das alte Zentrum Gleisdorfs viele seiner Aufgaben an neue Viertel
abgeben müssen. Der partielle Funktionsverlust wurde sehr schmerzlich erfahren. Die Stadt
ist nicht mehr konzentrisch wie einst, sondern polyzentrisch, hat an ihrer ursprünglichen
Peripherie neue Zentren erhalten.
Solche Erfahrungen mit ähnlichen Veränderungen gibt es quer durchs Land, gibt es in
Ortschaften aller Größenordnungen. Alte Eliten büßen teilweise ihren gewohnten Status
ein und können die zentral gelegenen Standorte nicht halten. Das bedeutet aber auch: Es
werden Flächen und Räume frei ("perforierte Stadt"), die mit neuen Aufgaben
belegt werden können.
Lukas sagt, es sei total deprimierend, "durch die Stadt zu spazieren und von einem
leeren Schaufenster ins nächste zu schauen." Sie interessiert sich für genau solche
Zusammenhänge, Hintergründe, Vorgeschichten und Konsequenzen.
Das Familienunternehmen, dem sie
angehört, hat längst an einem neuen Ort expandiert. Der alte Standort wurde anders
vermarktet, ist innerstädtischer Wohnraum geworden. Aber vorne, der Straße zu, gibt es
nun dieses "Experiementierfeld", das längerfristig für unterschiedlichen
Erkenntnisgewinn genutzt werden kann ...
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