Phrasendrescherei und Datenüberfluß
(Geschwätzigkeit als Anästhesie des Geistes)
Das Sprechen ermöglicht uns ein Ausdrücken unserer Gedanken und Emotionen. Es ist
aber auch umgekehrt. Wortschatz und Sprachregelungen wirken prägend auf das Denken.
Unsere Sprache bestimmt den jeweiligen Denkhorizont mit.
Dieser Zusammenhang bietet Werkzeuge an: Durch gewisse Ausdrucksweisen
sollen gewisse Stimmungen erzeugt werden. Überprüfen Sie es selbst. Entstehen
unterschiedliche Emotionen, wenn wir erfahren, daß Menschen gefeuert, rausgeschmissen,
gekündigt oder abgebaut werden? Haben wir noch konkrete Menschen vor Augen, wenn etwa ein
Personalstand reduziert wird?
Jeder Text hat seinen Kontext und Subtext. Das bedeutet, im Schreiben wird auch
mitgeteilt, was zwischen den Zeilen steht, was mitschwingt und was allenfalls verborgen
werden möchte. Menschen sammeln laufend Erfahrungen, worin der Unterschied zwischen
Feststellungen und Andeutungen liegt.
Das Unausgesprochene kann zum Genuß oder zur Falle werden. Es gäbe
beispielsweise ohne solche Optionen keine große Lyrik, es könnte aber auch kein
Betrüger seine Opfer um den Verstand reden. Propaganda und Werbung spielen sich genau
zwischen solchen Polen ab.
Die gute Nachricht lautet dabei, daß wir ohne dieses Unscharfe, Wandelbare, Dynamische
vermutlich unter uns keine feinere Kommunikation zustande brächten. Das Eindeutige ist
meist zu eng für lebendige Beziehungen. (Das gnadenlos Eindeutige ist ein Geschäft der
Tyrannis.)
Etwas polemisch ausgedrückt: Wie eine Droge kann eben auch die Sprache nützen,
erfreuen, berauschen, heilen, zerstören, töten. Der Sprachgebrauch muß folglich an
Fragen der Verantwortung gekoppelt bleiben. Wer sich dabei Kritik einhandelt, wird mit
einem Das hab ich nicht so gemeint! kaum genügen können. Damit will ich
sagen: Wer Deutungs-Eliten angehört, wer bevorzugte Zugänge zu Medien und zur
Meinungsbildung hat, muß sich stets fragen lassen, in welchem Zusammenhang Denken,
Sprechen und Tun stehen.
Anders ausgedrückt: Wer immer die Öffentlichkeit medial bespielt, sollte und muß mit
Einwänden, mit Widerspruch rechnen. Darauf kann in keiner Demokratie verzichtet werden.
Deshalb wünsche ich mir auch, daß wir Bürgerinnen und Bürger die notorische
Phrasendrescherei zurückweisen. In einer professionellen Geschwätzigkeit erreicht uns
dieses Rauschen tagtäglich.
Ein Zermürben des Verstandes und das Betäuben der Sinne durch einen Sturm von
Scheininformationen und trüben Mitteilungen sollten wir erkennen und ablehnen können.
Das verlangt nach neuen kulturellen Kompetenzen, die allerdings an alten Anforderungen
anschließen. Wir sind also nicht völlig auf Neuland geworfen.
In der Frage, wie aus Untertanen Bürgerinnen und Bürger werden, haben meine
Großeltern noch an jenen Prozessen teilgenommen, die erst der Auftakt waren, um eine
weitreichende Partizipation möglichst der ganzen Bevölkerung am kulturellen und
politischen Leben zu erwirken. Das ist eines der Kernereignisse dessen, was wir uns unter
einer Demokratie vorstellen dürfen.
Zu dieser bedeutenden politischen Entwicklung einer Gesellschaft gehört eine
grundlegende Kompetenz, deren Besitz vielen Menschen selbstverständlich erscheint; was
sie sie nicht ist. Nämlich: Literarität. Also die Fähigkeit, einen Text nicht nur zu
lesen (entziffern), sondern auch zu verstehen (deuten) und das Verstandene in den
individuellen Wissensschatz einzuordnen.
Das ist eine höchst anspruchsvolle Tätigkeit der Menschen. Sie wird durch
Phrasendrescherei und Datenüberfluß erschwert, gestört, getrübt. Scheinmitteilungen
belasten diese soziokulturellen Vorgänge. Das Raunen und Flüstern, diese Angeberei, um
damit leere Worthülsen als geschwollene Container-Sätze in unser aller Alltag zu
wuchten, um Bedeutung zu simulieren, wo aber keine ist, hat die Qualität eines
kraftvollen Störsenders.
Ich gebe ein vergleichsweise harmloses Beispiel, um deutlich zu machen, was ich meine.
Auf dem Florianiplatz in Gleisdorf sah ich diesen Sattelzug stehen. Wenn ich mich recht
erinnere, wurde damit Mobiliar für das eben renovierte Rathaus angeliefert. Eine
Firmenaufschrift wäre das Erwartbare. Doch dann diese kleine Geschwätzigkeit: Möbel
für Menschen.
Was heißt denn das? Bauen sich auch Tiere ihre Möbel und müssen daher jene für
Menschen eigens betont werden? Sinnleeres Geblöke, das so tut, als habe es uns etwas
mitzuteilen. Schutt aus der professionellen Phrasendrescherei. In Summe umgibt uns solches
Geraune stets. In Texten, Bildern und Tönen. Wie die unerträgliche Hintergrundmusik, die
von ungezählten Wirten andauernd abgespielt wird, ohne daß mir bekannt wäre, wer das
bestellt hat.
Ein anästhesierendes Hintergrundrauschen der Wohlstandsgesellschaft, das Sinne,
Verstand und Emotionen trübt. Genau das ist der Hauptgegenstand dieser kulturellen
Attacke: Narkose.
Machen Sie die Probe aufs Exempel. Versuchen Sie einmal, wenigstens einen halben Tag
lang jene auf Sie einströmenden Scheininformationen auszuwerten. Was wissen
Sie dann? Was haben Sie erfahren? Womit haben Sie da Ihre Zeit und Aufmerksamkeit
verbraucht?