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Der nächste Abschnitt

Ja, ich weiß. Diese erdrückende Komplexität von Hypertext. Fast jedes Dokument erlaubt an beliebigen Stellen einen Querverweis zu anderen Dokumenten, auch zu beliebigen Stellen in anderen Dokumenten.

Zugegeben, ich weiß dann oft selbst nicht mehr, was ich wo suchen muß, obwohl ich dieses ganze Docuverse selbst gebaut hab. Als wäre ich eine manische Ameise in meinen Gängen, die ich zu großen Teilen nicht mehr kenne.

Egal! Die Linien und Verknüpfungen müssen ab und zu gestrafft, neu gebündelt werden, damit ich mich wenigstens in einem Teilbereich wieder auskenne und auch das werte Publikum die Chance hat, einen Ausschnitt vorzufinden, der rezipierbar ist.

Tesserakt II
Es gibt einen Kernbereich meiner Kunstpraxis. (Lyrik ist der Angelpunkt.) Das bleibt in anderes Engagement eingebettet. Ich bevorzuge das prozeßhafte Arbeiten. Ich schätze Abschnitte einer kollektiven Wissens- und Kulturarbeit. Das verfolge ich in einem Spannungsfeld zwischen Zentrum und Provinz; hier: das Landeszentrum Graz und die Oststeiermark.

Selbstredend, daß die aktuelle Mediensituation alte Grenzen aufgehoben hat und daß ich inspirierte Gegenüber in jedem Teil der Welt finden und ansprechen kann. Aber die reale soziale Begegnung halte ich für unersetzbar.

Quest oder Conquista?
Dieses Begriffspaar beschäftigt mich gerade sehr. Der Lockdown, um die Covid-19-Pandemie zu bremsen, verschärft Kommunikationssituationen. Ich bin gelegentlich konsterniert, welche Fehlleistungen ich dabei von Leuten erlebe, die sich erklärtermaßen für wach, gebildet und reflexionserfahren halten.

Die Quest, die Suche, die Abenteuerfahrt, bei der man Prüfungen besteht und Erkenntnis sucht, handelt von anderen Intentionen und Modi als die Conquista, in der sich jemand zu Lasten anderer durchsetzen und festsetzen möchte. Ich widme hier den gesellschaftlichen und kulturpolitischen Zusammenhängen passende Themenleisten.

Keine Krise vergeuden
Ich hab ein Bonmot im Ohr, das vermutlich auf die griechische Tragödie verweist: Ohne Krisis keine Katharsis. Etwas weniger hemdsärmelig dahingesagt: Die Tragödie ist kein Tribunal. Da wird nicht geurteilt, sondern die Beteiligten erzählen, was sie erlebt haben.

Dem Publikum steht es völlig frei, daraus zu schließen was immer einem zusagt. Durch Schrecken und Mitgefühl (so meine bevorzugte Übersetzung phobos und eleos) gehen wir Richtung Katharsis.

Krisis meint ja eigentlich, daß man sich eine Meinung bildet, eine neue Entscheidung trifft, nachdem man irritiert, aus vertrauten Bahnen herausgeworfen worden ist. Krisis ist nicht die Katastrophe, sondern der Übergang. Also lautet der etwas flapsige Rat, man solle keine gute Krise vergeuden, indem man angebotene Erfahrungen ausschlägt, Schrecken und Mitgefühl meidet…

Wir haben eine Situation! Und das ist Tesserakt II, also der nächste Abschnitt dieses Prozesses...

-- [Notizen] [Lockdown] --


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23•20