Hymnen singen, Dichtung dichten
(Steirische Auffälligkeiten)
Von Martin KruscheWürde man der Mona Lisa einen
Bart aufzumalen, bloß weil es unter Frauen inzwischen allgemein Sitte sei, Bärte zu
tragen? Würde ein Autor, der bei Trost ist, heutzutage dichten wie ein unerheblicher
Reimeschmied aus dem 19. Jahrhundert?
Hirsch und Auerhahn, Gams und Murmeltier, / Unser
Wild gedeiht in Wald und Flur, / und vom Apfelbaum bis zum Löwenzahn / weist sich Kraft
und Fülle der Natur.
Bin ich in einen kabarettistischen Vorfall gestolpert? Nein. Es ist ernst.
In der Steiermark steht eine Neufassung der Landeshymne zur
Debatte. Was soll abgelöst werden? Was soll neu gefaßt werden?
Das Volkskultur-Referat des Landes Steiermark ist sehr
zurückhaltend. Es präsentiert online eine beschnittene Fassung des ursprünglichen
Textes. Bleibt die Frage: Wie legitim und wie sinnvoll ist es, ein Gedicht zu kürzen,
ohne diesen Umstand zu kommentieren? Dort steht nun:
"Der Steirer Land"
von Jakob Franz Dirnböck (Quelle)
[... Cut!]
Der Text stammt aus dem Jahre 1844. Schutz-
und Trutzdichtung nimmt erst etwas später merklich zu. Kleinbürgerliches
Bildungspersonal erging sich schließlich in deutschtümelndem Gereime, das unsere
slawischen Mitmenschen herabwürdigte, das Deutsche notorisch überhöhte.
Lehrer, Journalisten, Lokalpolitiker, Erregte aller Art schrieben unsere Mitmenschen in
Gegenmenschen um.
Mit dem Nahen der Ersten Weltrkiges kam es zu
einer Blüte von Hurrapatrioten, die sich zum Reimen von Texten gedrängt
fühlen, wie es heute konzentriert und gnadenlos bloß noch anläßlich verschiedener
Geburtstage in den Wochenendausgaben von Tageszeitungen geschicht.
Über unsere deutschen Nachbarn, die rund um die Schüsse von Sarajevo den Österreichern
eifrig gegen die Slawen auf die Sprünge halfen, schrieb Rainer Traub, es sei ab dem
August 1914 eine nie dagewesene Flut von Laien-Lyrink über die Redaktionen
der Zeistchriften hereingebrochen.
Leute wie Rosegger und Kernstock waren im Fach Heimatlyrik weit weniger dezent als der
Buchhändler Dirnböck. Aber Sie werden beispielsweise die sechste Strophe des
Dirnböck-Textes in den meisten Publikationen vergeblich suchen. Warum? Darum:
Wo noch deutsches Wort
Und ein Handschlag gilt,
Frommer Sinn noch herrscht und Tugend währt,
Wo auf Mädchenschwang'
Noch das Schamroth spielt
Und die Hausfrau klug den Segen mehrt:
Dieses schöne Land
ist der Steirer Land,
Ist mein liebes, theures Heimatland.
Das geht ja mindestens heute, im 21. Jahrhundert, wesentlich zu weit. Aber warum werden
diese Stellen ausgebleicht, verschwiegen, statt offengelegt und kommentiert? Warum
erstreckt sich diese Verschämtheit auch auf andere, weit renommiertere Autoren der
Steiermark? Warum fehlen Kommentare dessen, was diese Männer zum Rassimus im Österreich
des 20. Jahrhunderts beigetragen haben? Ich gebe diese Frage an die Politik weiter.
[Die ist ein Textauszug. Volltext hier als
RTF-Datei zum DOWNLOADEN.]
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