Struktur und Prozess in der Netzkunst
Von Martin Pichlmair
"For me a great
film is one that simultaneously
expresses an idea of the cinema
and an idea of the world."
Francois Truffaut
Ich versuche hier in kurzen Worten eine
Position zu Netzkunst zu finden. Dies ist ein investigativer aber auch reflexiver Text,
der zum Ziel hat selbige zu umreissen und in einen allgemeinen Kontext zu bringen. Ich bin
der Meinung dass Netzkunst eines der missverständlichsten Gebiete der Kunst der letzten
Jahre ist. Dies resultiert - wie hoffentlich in weiterer Folge klar wird - auch aus der
Netzkunst selbst. Des weiteren Versuche ich das Phänomen Netzkunst auch von
medientheoretischer Seite in der Hinsicht zu beschreiben als nicht das Netz aus der Kunst
Netzkunst macht sondern die Kunst aus dem Netz.
Jedes Medium impliziert (wenn man es so
will) seit McLuhan die Botschaft die es transportiert wie sich selbst. Sobald vermittelt
wird, ist der Inhalt nie rein. Netzkunst ist die aktive Gestaltung dieses Zusammenhanges -
die gewollte Reflexion dieser Tatsachen - auf der Ebene des Internet. Hierzu ist es nicht
notwendig im Netz präsentiert oder auch präsent zu sein. Wenn eine (allegorische?)
Isomorphie erzeugt werden kann, warum soll dann nicht Netzkunst in der Zeitung gemacht
werden oder in Öl auf der Leinwand? Das Bewusstsein um die im Medium inhärenten
Beschränkungen der Sichtweisen auf Inhalte ist der entscheidende Faktor (wobei nicht
festgelegt wird durch das Medium sondern nur nahegelegt und verhindert). So wie das
Fernsehen als Gesamtes auf jede konkrete Sendung zwangsläufig beschränkend wirkt, kann
auch jede einzelne Sendung das Medium als Gesamtes erweitern (bis zu einer weiteren
Grenze, die keine ist).
Die Malerei als solche stellt kein Medium
dar sondern eine Technik - daher wird sie immer durch Pinsel und Farbe gekennzeichnet
sein. Sie ist auch nicht an ein Medium gebunden. Sollte jemand eine Fassade bemalen so ist
sicherlich die Fassade das Medium, welches wieder sich selbst und die darauf angebrachte
Farbe vereint. Die Fassade transportiert nicht nur die visuelle Phänomenologie der
Malerei, sie formt sie auch (und beschränkt sie technisch durch die Notwendigkeit
bestimmter Farbarten etc.). Des weiteren mag auch hier eine bahnbrechend neue Gestaltung
das Medium Fassade neu definieren. Ebenso kann die (allegorische) Isomorphie einer Fassade
in vielerlei Gestalt auftreten - im Schauspiel oder im Film etwa. Es ist fraglich ob die
Malerei als Medienkunst nicht eine andere Gestalt hat als Technikkunst (also sich dem
Pinsel doch entziehen kann).
Der dümmlich gebrauchte Begriff der
"Medienkunst" hat einiges an Verwirrung erzeugt, da er von den meisten
Proponenten und Diskutanten dieser Kunstrichtung als "Kunst mittels "Neuer
Medien"" angesehen wird. Die Kunstwelt kann eine "Klassische Moderne"
vertragen also wird sie auch mit "Medienkunst" umgehen lernen. Die Kunst der
Medienmanipulation ist jedoch nicht auf Video- und Netzkunst beschränkt. Sie arbeitet
vielmehr im Bewusstsein des Mediums in welches sie ihre Manifestation einbettet, sei es
Zeitung, e-Mail oder Leinwand. Der Begriff des Mediums ist auf einer anderen Ebene
angesiedelt als der der Technik (mit dem bisher die meisten Kunstrichtungen
charakterisiert wurden). Die aktive Arbeit am Medium selbst muss hier nicht zwangsläufig
der Inhalt sein, ist aber erkannter inhärenter Bestandteil der Arbeit. Aus dieser Sicht
schuf Michelangelo ein Medienkunstwerk auf dem Gebiet der "Kapellenkunst" und
die Evangelisten definierten geradezu das Medium "Buch" neu. Sokrates
perfektionierte die situationistische Technik der Handhabung des Mediums
"Diskussion" und die NSDAP die der "Propaganda".
Zwischen vielen Medien verschwimmen die
Grenzen - determiniert ist jedes durch seine spezifische Interaktion zwischen Kontext und
Phänomen (Struktur und Prozess). Der Produzierende kann nur soweit die Wahrnehmung in
einem Medium definieren wie es der Kontext gestattet. Der Zuschauer (als Teil des
Kontextes) definiert darüber die Grenzen des Mediums in Interaktion. Wenn ich heute ein
Buch voller leerer Seiten erzeuge so werden einige Rezipienten es als Arbeit am Medium
Buch betrachten ("leeres Buch") andere aber als Verlassen des Mediums Buch
("kein Buch") - also als Verlassen des Kontextes aufgrund der Phänomenologie,
die sich nicht nur auf Aussehen beschränkt. Wenn ich das leere Buch über den Buchhandel
vertreibe, so arbeite ich am Medium "Warenhandel". Wenn ich das leere Buch als
solches akzeptiere, dann ist es eine (kritische) Reflexion über alle Bücher und in Folge
auch der Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Geistes - es transportiert kulturelle
Aussagen (also solche die ihren Ursprung in unserem gegenwärtigen kulturellen Umfeld
haben, welches in ständiger Veränderung ist). Diese Aussagen sind natürlich von
Rezipient zu Rezipient verschieden. Die Phänomenologie ist durch den Kontext beeinflusst,
wie auch der Kontext durch die Phänomenologie.
Die Struktur des Schaffens zeigt gerade in der Netzkunst
mehrere Charakteristiken die sie wieder näher an herkömmliche Kunstformen heranführen.
Einige der Proponenten machen das einfach "nebenher". Andere sind in einen
geistig verwandten Prozess eingebunden - Softwareentwicklung im Open Source Bereich etwa,
oder sogar Web Design. Einige Werke sind eindeutig politisch motiviert - so etwa die der
Free Media Szene (indymedia, sarai.net, etc.). Die jeweiligen Arbeiten spiegeln natürlich
das Umfeld des Schaffenden wieder. Einzig von Netzkunst leben kann kein Mensch (wenn es
doch jemand kann muss ich diesen Satz ausbessern) - selbst die freischaffenden Künstler
unter den Netzkünstlern finanzieren sich eher über sekundäre Aktivitäten (etwa
Vorträge, Workshops, Lehrtätigkeit, Bücher, Journalismus).
[...]
Dies ist ein Textauszug. Volltext
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