the long distance
howl | koexistenz in konvergenz (das 2016er kunstsymposion) | seite #1Koexistenz
in Konvergenz
Wir leben seit zweihundert Jahren in einer permanenten
technischen Revolution. Jeder Entwicklungsschritt dringt tief in unser vertrautes Leben
ein. Das Tempo dieser Prozesse nimmt immer noch zu. 1814, 1914, 2014: Der Wiener Kongreß,
der Große Krieg und das deutliche Losbrechen der Vierten Industriellen Revolution. Jedes
Mal hat sich Europa dabei völlig verändert.
In diesen zweihundert Jahren haben wir die Erfahrungen und
die Mittel gewonnen, um das problematische Nord-Südgefälle Europas auszugleichen. Aber
es fehlte die politische Klugheit dazu. Heute sind die wohlhabenden Menschen besorgt, wenn
plötzlich völlig verarmte Leute vor ihrer Tür stehen, Vertriebene, Emigranten.
Dennoch ist noch kein Ende abzusehen, daß der reiche,
industrialisierte Norden aufhören könnte, den verarmten, meist agrarisch geprägten
Süden bloß als Provinz zu behandeln, aus der man wertvolle Rohstoffe billig einkauft, um
den Menschen dort Güter teuer zu verkaufen.
Als Österreicher, als Bürger eines reichen Landes, ist
mir völlig klar, wir werden unseren Wohlstand keinesfalls halten können, wenn uns zur
Frage von Verteilungsgerechtigkeit nichts einfällt. Außerdem werden wir unsere Lebensart
nicht als universell durchsetzen können. Warum sollte alle Welt sich unseren
Vorstellungen anschließen?
Ich bin daher nicht mit Fragen einer irgendwie gearteten
Integration beschäftigt. (Andere kümmern sich ohnehin darum.) Mich interessieren die
Fragen einer Koexistenz, in der verschiedene ethnische und soziale Konzepte komplementär
auftauchen.
Aus diesen Gründen befassen wir uns heuer mit der Idee von
Konvergenz.
Hier dominiert nicht ein Konzept das andere. Es neigen sich
verschiedene Konzepte einander zu. Auf nächsten Wegen von der Diaspora zur Diversität,
wie wir das seit 200 Jahren kennen, erlebt Europa, daß diese verschiedenen Konzepte an
manchen Stellen in anderen Konzepten aufgehen.
Martin Krusche
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