the junction / context
Martin Krusche (Austria):
Axt (german only)
Solche Geschichten werden hier
eigentlich nicht mehr erzählt. Wozu auch? Sie handeln von einem kargen Leben, an das
niemand, der es erfahren hat, erinnert werden möchte. Aber manchmal geschieht eine
unbedeutende Kleinigkeit, durch die so eine Geschichte plötzlich ... hm, einem vor die
Füße fällt.
Eine Imbißbude an der Bundesstraße zwischen Gleisdorf und
Weiz. Unlängst hatte ich dort ein kurzes Gespräch mit mürrischen Kroaten, auf deren
Transporter eine rare Dodge Viper festgezurrt war, ein überaus teurer Sportwagen. Der
wohl nicht aus dem Verkauf von Weihnachtskeksen finanziert war. Das sind Momente mit
spektakulären Bildern. Es gibt aber auch diese viel unaufgeregteren Motive.
Wie einen humpelnden Mann, der über die Schwelle
gestrauchelt war und den ich quasi aufgefangen hab. Was ihn vor einem Sturz bewahrte. Den
er wohl mit Sicherheit vermieden hätte, wenn er, weniger fest ein sperriges Paket an sich
gedrückt, die Hände ... na, egal. Das brachte mir ein Krügel Bier auf seine Kosten ein.
Und neue Klarheit über die Vorzüge einer bestimmten Kettensäge. Nämlich jener, an die
er sich geklammert hatte, auf deren noch unversehrter Verpackung einige Piktogramme den
richtigen Gebrauch skizzierten.
Und so sei das schon vor vielen Jahrzehnten gewesen, erfuhr
ich, nur die Bilder hätten anders ausgesehen. Was ihm erinnerlich sei, weil sein Cousin,
das Kind seiner sturen Tante, solche Bilder aus der Vergangenheit lange aufbewahrt hätte.
Aber man wüßte heute nur wo die Bilder sind, nicht wo sein Cousin geblieben sei. Von
dessen Mutter, also der Tante, habe es geheißen, sie sei eine "hoatbuachane".
Was eine Frau wie von hartem Buchenholz meinte. Daß sie von Männern nichts hielt, habe
ihr Sohn in der abgelegenen Hütte reichlich zu spüren bekommen. Zumal man sagte, er sei
seinem Vater sehr ähnlich geworden.
Später, nicht mehr gebückt wie ein geprügeltes Kind,
habe er auf die Behauptung "Du bist deinem Vater wie vom Gesicht gerissen",
gerne erwidert: "Welchem?" Was wie "wölchan" klang. Davor lagen aber
noch etliche Jahre voller Demütigungen, bevor er sich jemandem so entgegen stellen
konnte. Entgegen stellen im Sinn des Wortes. Denn er habe sich als sehr geschickt für die
Waldarbeit erwiesen, was seinen Körper zu bemerkenswerter Wucht auswachsen ließ. Als
Achtzehnjähriger führte er das große Beil und den Sappel mit mehr Leichtigkeit als das
gewesene Kind die kleine Hacke, die bei ihnen "Hedsch" hieß. Mit der das
Kleinholz für den Herd gespalten wurde. Das sind früher die ersten Arbeiten gewesen, zu
denen ein Sechsjähriger herangezogen wurde, nach dem ihn die Mutter durch die ersten
Jahre als nutzloses Wesen herumgeschubst hatte. Wasser holen und Brennholz für den Herd
beschaffen.
Mit dem kleinen Beil zu hantieren war ihm lange verboten
gewesen. Warum, das erlebte er an einem spröden Wintertag. Als die Mutter mit einer
klaffenden Wunde im rechten Mittelfuß, stark blutend, in die Hütte kam. Und seinen
Schrecken mit einem "Sei ruhig! Ist nichts!" wegwischte. Allein der Hinweg zum
Arzt verlangte einem gesunden Menschen fast zwei Stunden ab. Dieser Tag in der Stille,
einsam, war für das verängstigte Kind sehr lang geworden.
Man könnte meinen, er habe diesen Tag später oft zu
revidieren versucht. Wenn er das schwere Werkzeug nahm. Wenn er wiederholt die übliche
Regel brach, nie alleine ins Holz zu gehen. Das galt ja nicht einmal als mutig, sondern
hätte ihm schlicht den Ruf von Dummheit eingebracht. Denn draußen im Holz konnte schon
ein kleiner Vorfall den Tod bringen, wenn niemand dabei war, um zu helfen oder Hilfe zu
holen.
Da er sich als Taglöhner ein Ansehen erarbeitet hatte, kam
er gelegentlich auch bei Fuhrdiensten zum Zug. Die mochte er viel lieber als etwa von
einem Viehhändler bezahlt zu werden, um einen eben gekauften Stier zum Schlachthof zu
treiben. Was bedeutete, fast dreißig Kilometer zu Fuß hinter dem Bullen zu machen. Dem
auf den ersten Kilometern erst der Willen zur Gegenwehr gebrochen werden mußte. Es wurde
dem meist sehr mächtigen Tier auf solchem Weg ein Strick lose um den Bauch gebunden, ein
zweiter an einem Vorderbein fest gemacht und durch die Schlinge am Bauch nach hinten
geführt. Auf die Art ging man hinterdrein und mußt beim ersten Anzeichen von Aufbegehren
dem Stier sehr entschlossen das Bein wegreißen, daß es ihn auf die Schnauze warf.
Fuhrdienste waren dagegen die wesentlich leichtere Arbeit,
weil der Großteil davon im Fahren bestand. Bei einem dieser Dienste war ihm zum ersten
Mal ein Motorsäge in die Hände gekommen. Wovon er schon gehört hatte, aber davor noch
nie eine aus der Nähe gesehen. Diese erstaunliche Maschine war, wie man auch Bücher und
andere Merkwürdigkeiten aus dem Versandhaus beziehen konnte, als Paket zur Post in die
Stadt gekommen und mußte dort abgeholt werden.
Er hatte das Paket auf dem Rückweg neben seinen Füßen
liegen und gegen den brennenden Wunsch anzugehen, es aufzureißen. Der Bauer hätte ihm
das bestimmt übel genommen. Die Motorsäge bekam er dann auch nur sehr kurz zu Gesicht.
Ein Teil der Verpackung blieb zurück, mit vier Abbildungen darauf, ein kräftiges Stück
Karton, das er an sich nahm. Zuhause schnitt er die Bilder aus, verwahrte sie in einem
kleinen Koffer, den Rest des Materials verwendete er zum Anheizen des Herdes. Er mußte
noch lange mit Axt und Zugsäge arbeiten, hat aber bestimmt all die Jahre von einer
starken Motorsäge geträumt.
Irgendwann ging er "nach Brasilien oder so." Es
heißt, der Pfarrer habe ihm dazu verholfen. Er soll dort, in Brasilien oder so, weiter
ins Holz gegangen sein, in Wälder, die größer seien als unser Land. So sagten die
Leute. Der humpelnde Mann hatte mir inzwischen ein zweites Krügel hinstellen lassen.
Seinen Cousin habe er nie wieder gesehen. Nein. Es soll ihm ein bitteres Unglück
widerfahren sein. Denn in diesem Brasilien oder so gebe es Schlangen, deren Biß einem
innerhalb einer Viertelstunde den Tod bringen würde, wenn keine Gegenmaßnahmen möglich
seien. Das Gift würde sich von der Wunde über das Blut so rasch im ganzen Körper
ausbreiten und ein qualvolles Sterben herbeiführen.
Es hieß, der Cousin habe dort, im großen Wald, längst
eine erstklassige Motorsäge zur Verfügung gehabt, da er mitten in der Arbeit einen
Schmerz über dem Knöchel verspürte. Und eben jene gefürchtete Art von Schlange
davonkriechen sah. Worauf er die Säge habe fallen lassen, sich kurz besann und wohl nur
eine Möglichkeit fand, zu verhindern, daß sich das Gift in seinen Körper ausbreite. Er
soll sich gebückt haben, die Motorsäge hochgenommen und angeworfen, um sich auf einen
Baumstrunk zu setzen ...
Nun denke ich mir, so kann es wohl nicht gewesen, denn das
ist eine Szene, die ich den Regisseur Werner Herzog habe erzählen hören. Als er von
Dreharbeiten im Dschungel berichtete. Es ging, wenn ich mich recht erinnere, um
"Aguirre", wo der Schauspieler Klaus Kinski sich von einem Nervenzusammenbruch
zum nächsten geschleppt haben soll. Und es ist doch sehr unwahrscheinlich, daß der
humpelnde Mann aus der Imbißbude an der oststeirischen Bundesstraße ein Grazer
Programmkino frequentiert. Aber es ist doch nicht völlig auszuschließen, daß sein
Cousin und Werner Herzog sich einmal über den Weg gelaufen sind. In Brasilien oder so.
Die erwähnten Bilder von der Verpackung waren übrigens hier geblieben. Der humpelnde
Mann zeigte sie mir ...
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