the train: locomotion #4

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Zurück aus Weimar
"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Friedrich Schiller

Lieber Martin,

als ich neulich in Weimar war, suchte ich unseren Freund Friedrich auf. Wie du weißt, feiert er am 9. Mai dieses Jahres seinen 200. Todestag. Ich dachte zuerst, ich würde einen alten, müden Greis vorfinden, aber im Gegenteil, der Friedrich wirkte außergewöhnlich munter. Er sagte zu mir zwar nur einen einzigen Satz, aber der saß und lohnte den Weg: "Ich bin jetzt ein Denkmal, denk mal jetzt Du!"

Also, ich denke, wir sollten zum geistigen Aufwärmen vor dem Symposion folgendes tun: Wir sollten denken, was etwas tun kann, als was etwas ist. Denn: Wir wollen ja letzten Endes etwas tun. Als Ausgang dafür würde sich am besten das Buch "Was ist Philosophie?" von Gilles Deleuze bieten. Deleuze untersucht hier drei Formen des Denkens: Philosophie, Wissenschaft, Kunst -- daher könnte die Lektüre für alle TeilnehmerInnen von Nutzen sein -- und entwirft ein Konzept des konstruierenden, experimentellen Denkens als Handeln: "Wir sollten denken, was etwas tun kann, als was etwas ist". Schließlich geht es ihm darum, das Denken mit dem Außen in Verbindung zu bringen, was die Philosophie gewöhnlich kaum tut.

Im Zug könnten wir dann dank dieser Lektüre auf zwei Ebenen spielen, und hätten auch in den Augenblicken allgemeiner Sprachlosigkeit und Einfallsarmut oder des Hungers nie Minderwertigkeitsgefühle:
  1) Wir Können darüber diskutieren, wie solche experimentelle Formen des Denkens als Handeln aussehen könnten.
  2) Wir Können öfters, an unseren Butterbroten kauend, aus dem Fenster nach Außen schauen, sodass unser Denken mit ihm stets in Verbindung bleibt. Dadurch werden wir alle, zumindest laut Deleuze, wie echte Philosophen wirken -- entweder als Neue Konstruktivisten oder Avantouristen. Diese Entscheidung wird jedem selbst überlassen. Beides zukunftsweisende Berufe. (Jetzt zeigt sich deutlich der Vorteil des Zuges: es ist kein Elfenbeinturm.)

Tatort Wien: Auf dem Südbahnhof, genau in der Ecke, die du vorgeschlagen hast, mit Klappstühlen etc., verfassen wir dann ein Manifest des Avantourismus als Fortsetzung der Aufklärung nach dem Ende der Philosophie. Das neue Jahrhundert hat doch soeben begonnen, diverse Parallelen bieten sich an: Wir brauchen etwas Modernes, Neues! Die neuesten Nachrichten interessieren uns nämlich nicht!

Herzliche Grüße
Georg Flachbart


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7•05