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Die Erzählung geht weiter!
(Kulturelles Engagement abseits traditioneller Zentren)
Von Martin Krusche

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Das Brauchtum bildet den Jahreslauf des bäuerlichen Lebens ab. Es hatte einst solche Kraft, weil die Grundlagen dieses Berufes über Jahrhunderte nur selten großen Veränderungen ausgesetzt waren. Die Natur war normative Instanz. Aber das hat sich nun in wenigen Jahrzehnten grundlegend geändert. Heute entscheidet der Kreislauf der Natur nicht mehr über den Tagesverlauf der Menschen.

Der Wohlstand eines ganzen Landes, einer ganzen Zivilisationsform, wurde mit Massenproduktion und Massenkultur erkauft. Weshalb man aber kein Kulturpessimist sein sollte. Wer sehnt sich denn nach dem sozialen Leben rund um den Dorfbrunnen der 1940er- oder 50er-Jahre zurück? Dennoch kennt man an manchen Orten, in einer Region, mitunter soziale und kulturelle Qualitäten, deren Erhalt und Pflege als wünschenswert gelten.

Wovon handelt das? Wie geht das?

Weder „Urbanisierung“, noch „Schuhplatteln für Touristen“ haben sich während der letzten Jahrzehnte als überzeugende Konzepte erwiesen. Urbane Strategien, etwa aus dem Landeszentrum, in die Regionen zu übersetzen, bedeutet bloß, daß man sich als schwache Kopie städtischer Kultur abquält. Was davon nicht flott versickert und versinkt, blüht als laute Event-Kultur gerade so lange wie genug Geld von außen fließt.

Das bäuerliche Leben der eigenen Leute zu einem grellen und derben Schwank umzukupfern, der einem selbst und flüchtigen Gästen etwas Kurzweil bereitet, sollte eigentlich die Selbstachtung verbieten. Tut sie das nicht, wird man vermutlich jeden Profit aus solchen Vorführungen an anderen Stellen zurückzahlen müssen. (Das sind schlechte Geschäfte.)

Es gibt eine Grundsituation menschlicher Gemeinschaft, von der wir immer ausgehen können, wenn neue Wege betreten werden möchten. Man könnte sagen: das Unbekannte sucht man, indem man vom Vertrauten ausgeht. Momente der Gemeinschaft drücken sich in allerhand Symbolen und Ritualen aus. Vor allem aber in einer Handlungsmöglichkeit:

Das Geschichtenerzählen!

Die große Kraft dieser grundlegenden sozialen Situation (jemand erzählt, andere hören zu) liegt darin: fast alle können es, alle tun es. Kaum jemand verharrt in Schweigen und verschließt die Ohren. Sei es in täglicher Begegnung, sei es abends, wenn sich Familien um ihr TV-Gerät versammeln, um gemeinsam in das „elektronische Lagerfeuer“ zu starren.

Es wird erzählt, es wird zugehört. Diesem Prinzip widmen auch Regionalblätter einen großen Teil ihrer Geschäftigkeit. Sogar gelegentlich sehr gnadenlos wirkende Alleinunterhalter auf der Bühne eines Bierzeltes, wenn sie musizieren, singen, derbe Witze erzählen, stehen damit im Dienste dieses Zusammenhangs; wenn auch ziemlich formalisiert ... die aktuellen Hits und die gängigen Witze sind ja nicht bloß Schunkel- und Schenkelklopfanregung. Sie sind vor allem auch Erzählungen, denen die Menschen folgen. Worin sie sich wiedererkennen.

In diesem Sinn hab ich keine Einwände gegen „billige Unterhaltung“ und würde ein gedankenloses Herabblicken auf derlei Veranstaltungen für eine leichtsinnige Dünkelhaftigkeit halten. Eigenständige Regionalentwicklung wird sich hüten, in die Pose von Kreuzfahrern zu verfallen. Das Leben der Menschen, denen man kulturell zur Hand gehen möchte, ist kein Entweder-Oder. Es gibt im kulturellen Engagement keinerlei Heilsversprechen. Derlei wäre verdächtig bis kompromittierend.

Es schadet dabei nicht, daran zu erinnern, daß zum Beispiel die Massenliterarisierung der Menschen bei uns nicht durch die Werke eines Goethe bewirkt wurde. Der ist zu seiner Zeit von insgesamt vielleicht gerade mal zehntausend Menschen gelesen worden. Was für deutschsprachige Millionenvölker von höchst bescheidener Wirkung war. Nein, diese Art der Medienkompetenz (Literarität) ist durch triviale Stoffe, durch Groschenromane unter die Menschen gekommen. Überdies in der ungewöhnlichen Verklammerung, daß von Herrschaft und Dienstboten oft die gleichen Heftchen gelesen wurden.

Das läßt einen vielleicht über „Telenovelas“ etwas entspannter nachdenken. Und gibt Anregungen für kulturelles Engagement in den Regionen. Im diffusen Licht der radikalen Veränderungsschübe, wie sie unsere Kultur während der letzten Jahrzehnte erfahren hat, hilft die Konzentration auf soziale Grundsituationen bei der Orientierung. Dann läßt sich klären, was etwa Medienkompetenz auf der Höhe der Zeit in solchen Situationen nützen kann. (Und nicht umgekehrt: wie man die Menschen in neue Kommunikationskanäle zwängt.)

Ob also „Dazöll wos!“ in der realen sozialen Begegnung oder ob im Ausloten neuer Kommunikationstechnologien, es gilt da wie dort:

Wer Besonderes erlebt hat oder besonders lebhaft zu erzählen versteht,
darf mit erhöhter Aufmerksamkeit rechnen.

Findet man diese Annahme plausibel, werden einem auch die möglichen Bezugspunkte auffallen, die zwischen einem Regionalmanagement, den Kommunen einer Region und kulturell engagierten Menschen betont, verstärkt, bearbeitet werden können. Dem sind durch die neue Mediensituation Möglichkeiten erwachsen, die ich quer durchs Land keineswegs genutzt sehe.


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25•06