Über Statik und ihre Folgen. (Zu Next Code:
Passion)
Von Martin Krusche
Ist die Grammatik das textbezogene Äquivalent zu dem, was der Architektur von der
Statik geboten wird? Dieses erste Versprechen, daß eine Hütte nicht unkontrolliert
niedergehen werde. Auch Texte können unkontrolliert niedergehen. Meist mit Konsequenzen,
die ohne Vollkaskoversicherung zu bewältigen sind.
Jedenfalls ist diese Formulierung, wie ich sie von einem Architekten gehört habe,
worauf es im Kern ankomme, die Haltbarkeit der Hütte, so auch eine der Grundforderungen
des Vitruv, ist diese Formulierung also unbestreitbar poetisch. Einen anderen Satz, an dem
ich sehr hänge, habe ich ebenfalls dem Gebiet der Architektur entnommen. Er war wohl
einem Bauherrn als Empfehlung zugerufen worden und lautet: Wenn man nicht weiß was
man will, wird es teuer.
Ein Modus, der andrerseits in Regionen der Theorie geradezu konstituierend erscheint.
Der Theoros ist der absichtslos Schauende. Er weiß nicht, was er suchen soll
und finden will. Er meidet den diskursiven Blick, schaut staunend in die Welt. Falls ihn
das Staunen bewegt Fragen zu stellen, hat die Philosophie begonnen. Hier gilt also ganz
energisch, daß einem teuer ist und daß einen teuer kommt, was von der möglichen
Vermarktung noch derart weit entfernt liegt.
Derlei bloß zu denken bedeutet schon, einen Fuß zu heben, um ihn auf das Kunstfeld zu
setzen, vielleicht ein Gehen in diese Richtung einzuleiten.
Da sind wir nun. Theorie. Kunst. Und daß dennoch Hütten gebaut werden mögen, die
nicht unkontrolliert niedergehen sollen.
Solche Bilder dominieren auch unser Denken. Es kann kein Zufall sein, daß man
landläufig von Theoriegebäuden spricht.
Welche, wenn sie der Kritik nicht standhalten, eben zusammenbrechen. Selbst eine so
miserablige Metapher wie die vom Querdenker rekurriert auf eine physisch
bedingte, räumliche Erfahrung, in welcher der Körper einen konkreten Ort hat. An dem
einem etwas in die Quere kommt. Wie man es jeden Augenblick im Straßenverkehr erleben
kann. Woher wir wissen, daß man schlagartig munter wird, wenn etwas den eigenen Weg
unerwartet quert. Zumindest wenn es etwas größer als eine Fliege ist.
Das gilt ja auch für Gedanken und Ideen. Daß ihr unerwartetes Auftauchen einen
schlagartig munter machen kann. Zumindest wenn sie etwas größer als die Gedanken und
Ideen einer Fliege sind. Man könnte demnach sagen, das Denken sei eine Art der Landnahme,
die sich in Räumen und auf Territorien entfaltet. Was den Menschen der Antike klar
gewesen ist, bis der von Sokrates so heftig kritisierte Übergang der oralen zur
Schriftkultur sich durchgesetzt hatte. Damals waren Raum- und Gebäudemetaphern eine
übliche Grundlage von Mnemotechniken.
Wird das Denken (als Landnahme) in künstlerische Praxen überführt, verbindet es sich
mit all den Kräften, ohne welche die Ratio verkümmern würde, und nimmt dabei jeden
Verbündeten in diesem Kräftespiel an. Das sind also über weite Strecken keine sehr
disziplinierten, aber sehr interdisziplinäre Abläufe.
Wir können nicht wissen, wie menschliches Dasein gewesen sein mag, bevor die Spezies
symbolisches Denken hervorgebracht hat. Aber wir haben seither offenbar gut zu tun, dessen
Möglichkeiten ständig neu zu verhandeln und zu erproben.
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