Keine Komplaexitaetsreduktion ohne Stereotypen. Da einem die Welt sehr schnell zu kompliziert werden kann, helfen einschlaegige Verfahrensweisen mindestens, das zu ertragen, was man nicht versteht.

Wenn man dabei auch noch dekorative Stoffe angeboten bekommt, die einem Stimmungen aufzuhellen vermögen, wird so ein Angebot fast unwiderstehlich. Was "Archhim von Bernau" beispielsweise unter dem Titel "Vom eigenen Vater in Ketten gelegt" anbietet [Grosse Cover-Ansicht], ist allerdings nicht so gemacht, daß dagegen Tolstoj viel schwerer zu verstehen wäre. Vielleicht, wenn etwa "Krieg und Frieden" in so schlanke Heftchen aufgeteilt wäre, könnte Tolstoj beim gleichen Publikum reüssieren.

Man ahnt sicher, ich relativiere hier nicht Tolstoj herunter, sondern traue dem Pubklikum von Groschenheften weit mehr zu. Bloss hat man vielleicht den langem Atem aus diesen Leseerfahrungen nicht, um ein Werk von gut zweimal 800 Seiten unerschrocken vor sich liegen zu sehen.

Und es muß auch Tolstoj keineswegs jemandem angedient werden. Aber dieser Moeglichkeitsraum ist doch sehr interessant, in dem Grossromane und Groschenromane einfach zwei moegliche Positionen markieren. Von denen ich keine gegen die andere ausspielen moechte.

Weil mich die Arbeit am Moeglichkeitsraum selbst interessiert. Bei meiner Herkunft danke ich es ja nicht den Werken Goethes, sondern den "Schundheften", daß das Lesen in meiner Familie seit jeher ueblich war. Was mit Jerry Cotton und Readers Digest begann, endet eben nicht zwangslaeufig bei "Z-Romane zaubern zielbewusst Zerstreuung". (Muesste aber dort enden duerfen.)

Wenn auch die konkreten Inhalte ueber die Rezeption vermutlich zu verschiedenen Konsequenzen fuehren werden, insofern ist der Unterschied zwischen von Bernau und Tolstoj ganz erheblich, so bleibt doch Literaritaet im Kern, bleibt dieser Kognitionsprozess selbst auf eine Unterscheidung zwischen trivialen Genres und "Hochkultur" nicht angewiesen.

[Groessere Passage]

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30•06