Next Code: Schatten #2 Next Code: Schatten / Wir Kinder des Kalten Krieges
Von Martin Krusche
Mein Großvater ist von jugoslawischen Partisanen
erschlagen worden. Was gewiß nicht daher kam, daß er ihnen zufällig im Wege stand. Er
war auf seinem Weingut nahe Maribor ein aktiver Funktionär des Großdeutschen Reiches. Mein
Vater ist für eben dieses Regime gegen Rußland ins Feld gezogen und von dort als schwer
versehrter Krüppel zurückgekommen. Ein bescheidener Einsatz in einem der schlimmsten
Raubzüge, den die Menschheit je erlebt hat. Das sind nur einige der Schatten, welche die
Welt meiner Kindheit zu einer bipolar gestalteten Kulisse werden ließen. Vier
Himmelsrichtungen auf zwei zurechtgestutzt: Ost und West. Als Kind des Kalten
Krieges habe ich eine Vorstellung von Europa erfahren, die uns angemessene Wege in
die Zukunft verstellt.
Der wichtigste Aspekt von Zivilisation lautet:
Gewaltverzicht. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist die Demontage von Feindbildern.
Auschwitz, das ist die Konsequenz der Idee von Gegenmenschen und
Nichtmenschen, zu denen sich bedenkenlose Menschen abzugrenzen gewünscht
haben. Eine kulturelle Konstruktion, die kein Naturereignis ist, sondern auf
von uns selbst entworfenen Codierungen beruht.
Bleibt also zu klären, was gegenüber den old
codes nun next codes sein könnten, die der Menschenwürde verpflichtet
sind. Auf eine verläßliche Art.
Ich habe ein Selbstverständnis darin Österreicher zu
sein. Das beinhaltet emotionale Seiten und Aspekte, die sich in sehr unterschiedlichen
Situationen als erfahrbar zeigen. Während ich diesen Teil vorzugsweise erlebe, gebe ich
mir über die rationalen Anteile selbst immer wieder neu Auskunft. Es stellt sich nicht
bloß einmal, sondern laufend die Frage wer ich sei. Ich denke, Identität ist
grundsätzlich so angelegt, daß sie keinen bestimmten Status ergibt. Sondern Beziehungen
ausdrückt. Die Frage nach der Identität handelt von meinem Verhältnis zu mir selbst und
zu anderen.
Mein Selbstverständnis darin, Österreicher zu sein, ist
davon geprägt, daß Österreich ein multiethnisches Reich gewesen ist. Dabei spielen
historisch einige Dynastien besondere Rollen. Denn solche dynastischen Eliten nahmen
erheblichen Einfluß darauf, welche kulturellen Tendenzen in einer multiethnischen
Situation Vorrang bekamen und welche kulturellen Kräfte Widerstände erfuhren.
Die maßgeblichen Dynastien in der Vorgeschichte meines
Landes waren die Habsburger, die Osmanen, die Romanows und die Hohenzollern. Deren Höfe
kulturell normative Instanzen gewesen sind.
+) Habsburger / Österreich
+) Osmanen / Türkei
+) Romanows / Rußland
+) Hohenzollern / Deutschland
K. u. k. Österreich ist nach Rußland der zweitgrößte
slawische Staat der Welt gewesen. Die osmanische Herrschaft auf dem Balkan begleitete die
Herrschaft der Habsburger über viele Jahrhunderte, war nicht nur Anlaß für Kriege,
sondern vor allem auch für kulturelle Wechselwirkungen.
[...]
[Textauszug! Der vollständige Text
ist hier als RTF-Datei downloadbar.]
start
| core | home
1906 |