(Erinnerungen als
Schnittpunkte in der Praxis des Kontrastes) In welcher Sprache drückst
Du Dich denn am liebsten aus?
In Arabisch. Aber das versteht hier ja niemand.
Netzkultur, Felder mit Formen vernetzter, webgestützter
Gemeinschaft, sind ein Terrain mit atemberaubenden Möglichkeiten und auch voller
Irrtümer. Ich darf in diesem Metier als sehr erfahrene Person gelten. Aber all das wiegt
wenig, wenn die Kompetenzen, die sich dabei einsetzen lassen, nicht an jene Punkte
heranreichen, an denen jemand mit seinen Interessen, Emotionen, Wünschen steht.
Wir beziehen gerne Impulse aus fremden Kulturen. Genau
genommen bedeutet ja Kultur nichts anderes als Vertrautes an Fremdem zu
überprüfen, um so Veränderung in Kauf zu nehmen. Wir sind sogar physisch so gemacht,
daß das naheliegt. Jeder verläßliche Stillstand läßt unsere Sinne verstummen. Das ist
Conditio humana.
Ich habe eben mit einem Afrikaner zu tun bekommen, der mit
mir Englisch spricht, weil ich Arabisch nicht verstehe. Und zu meiner Überraschung
unterhält er sich mit einen gemeinsamen Freund aus Sankt Petersburg auf Russisch. Womit
sind wir befaßt? Netzkultur. Medienkompetenzen.
Heißt es zum Beispiel vor Ort: Graz erzählt,
geht es um das Vortragen von Märchen und Legenden, sind afrikanische Gäste auf der
Bühne höchst willkommen. Die Musik und Gesänge des großen Kontinents müssen dem
heimischen Publikum nicht angedient werden. Es gibt in Österreich dafür breite
Wertschätzung.
Damit genießen wir die Früchte einer mächtigen
Tradition, welche bis in die Gegenwart ihre mündliche Überlieferung nicht einmal
annähernd so umfassend an die Schriftkultur abgegeben hat, wie das in Europa schon vor
langer Zeit geschehen ist.
Unser europäischer Weg mag für Wissenschaft und
Technologie manche Vorteile ergeben haben. In Kultur und Kunst, vor allem auch auf dem
sozialen Feld haben wir diesem Umbruch, diesem kulturellen Paradigmenwechsel, erhebliche
Opfer dargebracht.
In Platons Phaidros beklagt Sokrates die
nachteiligen Konsequenzen, die Menschen zu erwarten haben, wenn sie nun beginnen würden,
alles aufzuschreiben. Diese Medienkritik ist über zweitausend Jahre alt. Wir
können heute sehr gut beurteilen, worin Sokrates recht behalten hat, welche Probleme
umfassende Textstützung gelegentlich aufwirft.
Vorerst dominiert die Schriftkultur das Internet. Ganz
egal, wie Kulturpessimisten deren Qualität einschätzen. Text regiert.
Menschen aus Afrika (wie der Mann, der sich nun mit mir auf
ein webgestütztes Projekt einläßt), deren Biografie sie eventuell schon in wenigstens
drei verschiedenen Kulturen leben ließ, die sich heute keineswegs auf ihre Muttersprache
stützen können, um sich in diesem Land zurecht zu finden, werden also mit Sicherheit
andere Prioritäten im Web setzen als Einheimische.
Was könnte, trotz aller Kontraste, ein gemeinsames Feld
von einiger Tragfähigkeit sein, wenn wir uns vornehmen, die Möglichkeit einer breiteren
Webpräsenz zu erkunden? Worin überschneidet sich auch das einander Fremde auf jeden
Fall?
Ich habe gefragt: Sind Erinnerungen wichtig für
Deine Identität? Die Antwort war ebenso schnell wie klar da: Ja.
Selbstverständlich! Also trägt der Auftakt dieser Geschichte den Titel
Memories. Denn im Erinnern wird ein Erfahrungshintergrund ausgeleuchtet. Und
dort können wir am leichtesten herausfinden, was wir eventuell gemeinsam haben und was
uns aneinander interessiert.
So verhält sich das zu einander. Ich brauche die
Fremden, die Anderen, sonst bedeuten meine Erfahrungen nichts. Wir drehen uns mit
einander um das, was man teilen kann und das, was einen neugierig macht. |