Memories / Martin Krusche

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(Erinnerungen als Schnittpunkte in der Praxis des Kontrastes)

„In welcher Sprache drückst Du Dich denn am liebsten aus?
„In Arabisch. Aber das versteht hier ja niemand.“

Netzkultur, Felder mit Formen vernetzter, webgestützter Gemeinschaft, sind ein Terrain mit atemberaubenden Möglichkeiten und auch voller Irrtümer. Ich darf in diesem Metier als sehr erfahrene Person gelten. Aber all das wiegt wenig, wenn die Kompetenzen, die sich dabei einsetzen lassen, nicht an jene Punkte heranreichen, an denen jemand mit seinen Interessen, Emotionen, Wünschen steht.

Wir beziehen gerne Impulse aus fremden Kulturen. Genau genommen bedeutet ja „Kultur“ nichts anderes als Vertrautes an Fremdem zu überprüfen, um so Veränderung in Kauf zu nehmen. Wir sind sogar physisch so gemacht, daß das naheliegt. Jeder verläßliche Stillstand läßt unsere Sinne verstummen. Das ist „Conditio humana“.

Ich habe eben mit einem Afrikaner zu tun bekommen, der mit mir Englisch spricht, weil ich Arabisch nicht verstehe. Und zu meiner Überraschung unterhält er sich mit einen gemeinsamen Freund aus Sankt Petersburg auf Russisch. Womit sind wir befaßt? Netzkultur. Medienkompetenzen.

Heißt es zum Beispiel vor Ort: „Graz erzählt“, geht es um das Vortragen von Märchen und Legenden, sind afrikanische Gäste auf der Bühne höchst willkommen. Die Musik und Gesänge des großen Kontinents müssen dem heimischen Publikum nicht angedient werden. Es gibt in Österreich dafür breite Wertschätzung.

Damit genießen wir die Früchte einer mächtigen Tradition, welche bis in die Gegenwart ihre mündliche Überlieferung nicht einmal annähernd so umfassend an die Schriftkultur abgegeben hat, wie das in Europa schon vor langer Zeit geschehen ist.

Unser europäischer Weg mag für Wissenschaft und Technologie manche Vorteile ergeben haben. In Kultur und Kunst, vor allem auch auf dem sozialen Feld haben wir diesem Umbruch, diesem kulturellen Paradigmenwechsel, erhebliche Opfer dargebracht.

In Platons „Phaidros“ beklagt Sokrates die nachteiligen Konsequenzen, die Menschen zu erwarten haben, wenn sie nun beginnen würden, alles aufzuschreiben. Diese „Medienkritik“ ist über zweitausend Jahre alt. Wir können heute sehr gut beurteilen, worin Sokrates recht behalten hat, welche Probleme umfassende Textstützung gelegentlich aufwirft.

Vorerst dominiert die Schriftkultur das Internet. Ganz egal, wie Kulturpessimisten deren Qualität einschätzen. Text regiert.

Menschen aus Afrika (wie der Mann, der sich nun mit mir auf ein webgestütztes Projekt einläßt), deren Biografie sie eventuell schon in wenigstens drei verschiedenen Kulturen leben ließ, die sich heute keineswegs auf ihre Muttersprache stützen können, um sich in diesem Land zurecht zu finden, werden also mit Sicherheit andere Prioritäten im Web setzen als Einheimische.

Was könnte, trotz aller Kontraste, ein gemeinsames Feld von einiger Tragfähigkeit sein, wenn wir uns vornehmen, die Möglichkeit einer breiteren Webpräsenz zu erkunden? Worin überschneidet sich auch das einander Fremde auf jeden Fall?

Ich habe gefragt: „Sind Erinnerungen wichtig für Deine Identität?“ Die Antwort war ebenso schnell wie klar da: „Ja. Selbstverständlich!“ Also trägt der Auftakt dieser Geschichte den Titel „Memories“. Denn im Erinnern wird ein Erfahrungshintergrund ausgeleuchtet. Und dort können wir am leichtesten herausfinden, was wir eventuell gemeinsam haben und was uns aneinander interessiert.

So verhält sich das zu einander. Ich brauche „die Fremden“, die Anderen, sonst bedeuten meine Erfahrungen nichts. Wir drehen uns mit einander um das, was man teilen kann und das, was einen neugierig macht.

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