Die
Bildanthropologie des Medientheoretikers Hans Belting, seine
anthropologische Sichtweise, richtet sich auf die menschliche Bildpraxis und
den Ort, an dem diese stattfindet. Natürlich ist der Mensch der Ort der
Bilder und gleichsam ein lebendes Organ für Bilder. Trotz aller
Apparate, mit denen wir heute Bilder speichern und aussenden, sei allein der Mensch der
Ort, an dem Bilder empfangen und gedeutet werden. Der Ort, an dem Bilder erzeugt und wiedererkannt werden, ist der Körper der
Menschen. Was bedeutet, dass wir neben Bildern der Welt auch die Welt in
selbst kreierten Bildern sehen. So sind wir beim Anschauen eines Bildes rasch auf eigene
Bilder zurückverwiesen. Unsere Bilder sind von jener Kultur geprägt, in welcher wir
aufgewachsen sind. Die inneren Bilder existieren aber erst in der Interaktion mit den
Bildern von draußen. Sie sind deshalb keine statische Angelegenheit, sondern in
permanenter Veränderung begriffen. So unterscheiden wir zwischen inneren und äußeren
Bildern, mentalen und physischen.
Die Interaktion von beiden Arten der Bilder in uns ist
nicht eindeutig, und deshalb nicht ganz erklärbar. Die inneren Bilder sind flüchtiger
als die Bilder, denen wir begegnen. Unsere Bilder existieren, so lange es uns gibt.
Deshalb sehen Zivilisationen in der Übertragung von Bildern eine ihrer wichtigsten
Aufgaben. Die Bilder einer Kultur sind in den Symbolen erhalten. Symbole sind sozusagen
Bilder, die sich über lange Zeit ins kollektive Gedächtnis der Menschen einschreiben.
Bilder, die zu Symbolen wurden, sind wirkmächtige, eindruckskräftige Zeichen, welche als
Gedächtnisstützen verwendet werden können. Eine der wichtigsten Stützen der
Erinnerungen ist der Affekt. Das finden wir schon in den römischen Mnemotechniken
beschrieben:
Wir sollten also solche Bilder wählen, die am
längsten im Gedächtnis haften. Dafür müssen wir möglichst auffallende Vergleiche
suchen und also Bilder wählen, die nicht stumm und vage, sondern aktiv wirksam sind. Wir
müssen diese Bilder mit außergewöhnlicher Schönheit ausstatten oder mit einzigartiger
Hässlichkeit, wir müssen sie prunkvoll einkleiden in Krone und Purpur oder verunstalten
mit Blutflecken, Schlammspuren oder greller roter Farbe (Assman)
Die immanente Gedächtniskraft der Bilder ist ein zentrales
Thema in der Forschungen von Aby Warburg. Seine Prämisse besagt, es gebe eine
unauflösliche Verflochtenheit des Bildes mit der Gesamtkultur. Für Warburg
ist die Existenz von Bildern nicht selbstverständlich. Er fragte nach deren Entstehungs-
und Überlieferungsbedingungen. Seine Bildtheorie erhellt das Problem des Bildes als
Gedächtnismedium. Für Warburg sind die Bilder paradigmatische Gedächtnismedien. Mit der
Wiederholung einer Bildformel wird mehr aufgerufen als bloß ein bestimmtes Motiv.
Wenn man manche Bilder betrachtet, erkennt man sie als
etwas, das über die gezeigten Motive hinausgeht. Sie haben jene Durchschlagskraft, die
beim Betrachter eine Reaktivierung verursacht. Sie können mit Warburgs Begriff der
Energiekonserven beschrieben werden. Als etwas, das sich in einer gegebenen
Situation geschichtlich entlädt. Ihre Macht kommt durch die Überlagerung mit
konkreten Bilder beziehungsweise Erzählungen, die wir aus unsere Kultur oder Geschichte
kennen.
So ist unserer Körper als Ort der Bilder auch Teil eines
kollektives Körpers, der sich unter anderem durch ein kollektives Gedächtnis definiert.
Die Bilder, die aus einer Kultur kommen, sind schon konserviert, gespeichert. Sie wirken
als Stabilisatoren der Erinnerung (Assman). Als solche stiften sie unsere
Identität und geben uns eine Orientierung. Sie unterstützen das Gefühl, dass wir Teil
eines Systems sind.
Wobei man nicht übersehen darf, dass diese Bilder vom
System manipuliert werden können und fast immer manipuliert wurden. Gesellschaften machen
auch laufend Erfahrungen damit, welche Krisen sich zeigen, wenn die Bilder, die uns
ausgemacht haben, sich auflösen; wenn wir ohne Stützung durch sie durch die Welt gehen.
Die Werbung bedient sich schon lange der Wirkung visueller
Reize. Corporate Identity-Strategien gehören zum Alltag jedes Unternehmens und reduzieren
dessen Identität auf einfache Abbildungen, die sich assoziativ und meistens unbewußt in
unser Gedächtnis eingraben.
Die Bildproduktion moderner Kommunikationstechnologien
verstärkt die visuelle Inflation, welche unseren Alltag prägt. Die Bilderflut kann zu
unscharfen Wahrnehmung führen, wenn die Codes kaum noch zu entschlüsseln sind. Was
übrig bleibt, sind Stereotypen, die oft unbewußt und unreflektiert reproduziert und
festgefügt werden. Sie prägen das Bild, das wir uns von den Anderen machen
innerhalb einer Gesellschaft, aber auch zwischen verschiedenen Kulturen. Sie haben
eine lange Haltbarkeit, wobei sie oftmals von Generation zu Generation übertragen werden.
Bis wir am Ende dieses langwierigen Prozesses gar nicht mehr verstehen, warum wir zum
Beispiel Verständigungsschwierigkeiten innerhalb einer Gruppe, einer Gesellschaft, einer
Nation oder zwischen Nationen haben. In einer Welt, in der staatliche Grenzen an Bedeutung
verlieren und die Formen globalisierte Kooperation an Reichweite gewinnen, ist die
Wirkungsweise visueller Manipulationen gravierend. Ein Verständigungsprozess zwischen den
Kulturen und Nationen muß in der Dekonstruktion von Stereotypen beginnen. |