Ort der Bilder / Mirjana Peitler-Selakov

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Die „Bildanthropologie“ des Medientheoretikers Hans Belting, seine „anthropologische Sichtweise“, richtet sich auf die menschliche Bildpraxis und den Ort, an dem diese stattfindet. „Natürlich ist der Mensch der Ort der Bilder“ und „gleichsam ein lebendes Organ für Bilder“. Trotz aller Apparate, mit denen wir heute Bilder speichern und aussenden, sei allein der Mensch der Ort, an dem Bilder „empfangen und gedeutet werden“.

Der Ort, an dem Bilder erzeugt und wiedererkannt werden, ist der Körper der Menschen. Was bedeutet, dass wir neben „Bildern der Welt“ auch die Welt in selbst kreierten Bildern sehen. So sind wir beim Anschauen eines Bildes rasch auf eigene Bilder zurückverwiesen. Unsere Bilder sind von jener Kultur geprägt, in welcher wir aufgewachsen sind. Die inneren Bilder existieren aber erst in der Interaktion mit den Bildern von draußen. Sie sind deshalb keine statische Angelegenheit, sondern in permanenter Veränderung begriffen. So unterscheiden wir zwischen inneren und äußeren Bildern, mentalen und physischen.

Die Interaktion von beiden Arten der Bilder in uns ist nicht eindeutig, und deshalb nicht ganz erklärbar. Die inneren Bilder sind flüchtiger als die Bilder, denen wir begegnen. Unsere Bilder existieren, so lange es uns gibt. Deshalb sehen Zivilisationen in der Übertragung von Bildern eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Die Bilder einer Kultur sind in den Symbolen erhalten. Symbole sind sozusagen Bilder, die sich über lange Zeit ins kollektive Gedächtnis der Menschen einschreiben. Bilder, die zu Symbolen wurden, sind wirkmächtige, eindruckskräftige Zeichen, welche als Gedächtnisstützen verwendet werden können. Eine der wichtigsten Stützen der Erinnerungen ist der Affekt. Das finden wir schon in den römischen Mnemotechniken beschrieben:

„Wir sollten also solche Bilder wählen, die am längsten im Gedächtnis haften. Dafür müssen wir möglichst auffallende Vergleiche suchen und also Bilder wählen, die nicht stumm und vage, sondern aktiv wirksam sind. Wir müssen diese Bilder mit außergewöhnlicher Schönheit ausstatten oder mit einzigartiger Hässlichkeit, wir müssen sie prunkvoll einkleiden in Krone und Purpur oder verunstalten mit Blutflecken, Schlammspuren oder greller roter Farbe“ (Assman)

Die immanente Gedächtniskraft der Bilder ist ein zentrales Thema in der Forschungen von Aby Warburg. Seine Prämisse besagt, es gebe eine „unauflösliche Verflochtenheit des Bildes mit der Gesamtkultur“. Für Warburg ist die Existenz von Bildern nicht selbstverständlich. Er fragte nach deren Entstehungs- und Überlieferungsbedingungen. Seine Bildtheorie erhellt das Problem des Bildes als Gedächtnismedium. Für Warburg sind die Bilder paradigmatische Gedächtnismedien. Mit der Wiederholung einer Bildformel wird mehr aufgerufen als bloß ein bestimmtes Motiv.

Wenn man manche Bilder betrachtet, erkennt man sie als etwas, das über die gezeigten Motive hinausgeht. Sie haben jene Durchschlagskraft, die beim Betrachter eine Reaktivierung verursacht. Sie können mit Warburgs Begriff der „Energiekonserven“ beschrieben werden. Als etwas, das sich in einer gegebenen Situation „geschichtlich entlädt“. Ihre Macht kommt durch die Überlagerung mit konkreten Bilder beziehungsweise Erzählungen, die wir aus unsere Kultur oder Geschichte kennen.

So ist unserer Körper als Ort der Bilder auch Teil eines kollektives Körpers, der sich unter anderem durch ein kollektives Gedächtnis definiert. Die Bilder, die aus einer Kultur kommen, sind schon konserviert, gespeichert. Sie wirken als „Stabilisatoren der Erinnerung“ (Assman). Als solche stiften sie unsere Identität und geben uns eine Orientierung. Sie unterstützen das Gefühl, dass wir Teil eines Systems sind.

Wobei man nicht übersehen darf, dass diese Bilder vom System manipuliert werden können und fast immer manipuliert wurden. Gesellschaften machen auch laufend Erfahrungen damit, welche Krisen sich zeigen, wenn die Bilder, die uns ausgemacht haben, sich auflösen; wenn wir ohne Stützung durch sie durch die Welt gehen.

Die Werbung bedient sich schon lange der Wirkung visueller Reize. Corporate Identity-Strategien gehören zum Alltag jedes Unternehmens und reduzieren dessen Identität auf einfache Abbildungen, die sich assoziativ und meistens unbewußt in unser Gedächtnis eingraben.

Die Bildproduktion moderner Kommunikationstechnologien verstärkt die visuelle Inflation, welche unseren Alltag prägt. Die Bilderflut kann zu unscharfen Wahrnehmung führen, wenn die Codes kaum noch zu entschlüsseln sind. Was übrig bleibt, sind Stereotypen, die oft unbewußt und unreflektiert reproduziert und festgefügt werden. Sie prägen das Bild, das wir uns von „den Anderen“ machen – innerhalb einer Gesellschaft, aber auch zwischen verschiedenen Kulturen. Sie haben eine lange Haltbarkeit, wobei sie oftmals von Generation zu Generation übertragen werden. Bis wir am Ende dieses langwierigen Prozesses gar nicht mehr verstehen, warum wir zum Beispiel Verständigungsschwierigkeiten innerhalb einer Gruppe, einer Gesellschaft, einer Nation oder zwischen Nationen haben. In einer Welt, in der staatliche Grenzen an Bedeutung verlieren und die Formen globalisierte Kooperation an Reichweite gewinnen, ist die Wirkungsweise visueller Manipulationen gravierend. Ein Verständigungsprozess zwischen den Kulturen und Nationen muß in der Dekonstruktion von Stereotypen beginnen.

Lecture for "Next Code: Schatten" [Peitler-Selakov: Home]

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22•06