Räumen. Heißt. Raum schaffen.
(Von Rumpelkammern, Klarheiten, genialer Exzellenz und was sonst noch da draußen los sein mag. Notizen zu einer Vitrine in der Provinz.)

Ein Genie, Geistesblitzen ausgesetzt und deshalb dazu gezwungen, die Welt stets mit einmaligen Werken zu verwöhnen, so ein zur Originalität verdammtes Wesen, um das sich jedes Nobelpreiskomitee schlagen müßte, ist ... die Hauptfigur in einer zutiefst langweiligen Geschichte. Derlei Phantasmen des Monomanischen gehören in die bunten Gazetten, wie sie in Friseurläden aufliegen. (Ich lese sie gerne, wenn ich unter der Trockenhaube sitze. Was in den vergangen 50 Jahren ungefähr zweimal vorgekommen ist.)

Wir Menschen sind verspielt und neugierig. Weil wir in eine Welt der Fülle geboren werden. Weil das Lernen mindestens diese drei Grundbedingungen hat: Fülle, Neugier und Verspieltheit. Jede Faser in uns scheint diesen Reichtümern zugewandt zu sein.

Wenn einer wie ich sich ins Schaffen wirft, ganz für sich oder auch mit anderen, dann spielen mir Genialität und das zur Einzigartigkeit tendierende Originale so gut wie keine Rolle. Solche Marotten würde ich eher als störend empfinden. Was in mir der Kunst zuneigt, was sich diesen eigenwilligen Aspekten des Lebens widmet, schöpft vor allem aus enormen kulturellen Vorleistungen nicht nur einer, sondern mehrerer Gesellschaften.

All die Eindrücke und Erfahrungen, die Einflüsterungen und Vorfälle, die Reisen und Gerüchte, die Mutmaßungen und Zweifel, alles, alles, alles was Menschen schon bewirkt haben, soferne es mich mindestens als Echo erreicht, wirkt sich aus, fundiert meine Werkstatt.

Darum gehe ich auch gerne durch die Gassen, spüre verwehten Spuren nach, sehe mich nach Artefakten um, die mir nicht nur etwas zeigen, verraten. Ich suche Stücke, die möglichst über Jahre und Jahrzehnte durch ungezählte Hände gegangen sind. Diese Dinge physisch zu berühren ist ein Akt der Verbeugung vor all diesem Leben. Es ist ein Anknüpfen an das, was Kultur ausmacht. Diese Summe des Ereigneten! Diese Fülle!

Darum muß es diese zur primären Ausstellung dislozierte Vitrine geben. Weil mein Anteil an der Teamarbeit von „High Spirited City Upgrade“ ohne die Gegenstände, die den Ideen entgegen-stehen, nicht denkbar wäre. Denn sie sind die magischen Objekte. Ob es ein Buch sei, das Denkakte repräsentiert, oder ein fortgeworfener Arbeitshandschuh, solche Dinge fallen mir zu und sind aus den genannten Gründen Teil der Gesamtpräsentation.

Ich habe zwar eine Stimme, die mit den Jahren kräftig geworden ist, aber ich sehe mich in einem großen Chor gebunden. (Damit fühle ich mich meist wohl.) Auch diese Session im Rahmen des „High Spirited City Upgrade“ ist als Chorstück angelegt. Dessen Umsetzung einem klaren Konzept folgt. Was nun zu dieser Dislozierung geführt hat, an der mich einmal mehr das Spiel mit Raumzuständen im Kontrast öffentlicher und privater Räume gereizt hat.

Aber. Was nun noch klärungsbedürftig bliebe, ist der Rang der „Genie-Nummer“, die so gerne als Folie über künstlerische Vorhaben geschoben wird. Ein Verfahren, dem ich mißtraue, wo immer es auftaucht. Dieser Inszenierung des herausragenden Genius. Zumal es die Menschen wenig angeht, wenn sich ein Genie hinter dem Horizont zusammenbraut.

Obwohl ich nicht bezweifeln will, daß ein hohes Maß an Genialität sich ab und zu einstellt. Meine Lieblingsthese besagt: Dies geschieht, weil es möglich ist, weil es sich im Rahmen der Conditio humana einstellen kann. Dieses Geniehafte. Deshalb muß es eben, gewissermaßen, manchmal nach jemanden greifen. Zum Beispiel:

Johann Sebastian Bach? Naja, irgendwer mußte das werden. Marie Curie? Hm, irgendwen trifft es nun mal. Eduardo Chillida? Passiert eh nicht alle Tage.

Einigen unserer Mitmenschen widerfährt solches Potential. Aber derlei Exzellenz ist doch selten. So daß man sich gewöhnlich nicht zu sorgen braucht, sie könne über einen hereinbrechen. Das hält die Wege offen, als Kollektiv in das hineinzugehen, was nur durch Kollektive überhaupt entsteht und wächst. Eine Stadt.

Mit diesen Prozessen haben wir zu tun. Das ist sehr ... hintergründig angelegt. Genau deshalb brauch ich meine Vitrine. Mit dem Zeug. Mit dem Analogen. Dem Greifbaren. So weiß ich jederzeit, wo ich zuhause bin ...

Martin Krusche
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