Golem Reloaded
(Intrada zur Konferenz am 6.10.05, Medienkunstlabor, Graz)Wenn Sie ein Werkzeug in die Hand nehmen,
welche Konsequenzen hat das für Ihre Hand?
Wenn Sie einem Werkzeug Lösungsmöglichkeiten zurufen können, welche Konsequenzen hat
das für Ihr Denken?
Sie finden im Zentrum dieser
Zwischenstation des City Upgrades ein Motiv, das uns vor allem über die
Literatur und einige Verfilmungen geläufig ist. Der Golem. Ein Homunkulus. Ein Vorläufer
des Frankenstein-Themas.
Das hebräische Wort Golem meint
"Ungeformtes". Die Golem-Legende handelt jedoch, anders als die
Frankenstein-Geschichte, nicht von einem Prometheus, von einem Lichtbringer, sondern von
einem Werkzeug der Menschen, das gewissermaßen fürs Grobe gedacht war.
Seine Parallelen zu den von uns
bevorzugten Universalrechnern, besser noch: den
Simulationsmaschinen, als die Computer inzwischen begriffen werden, sind
bemerkenswert. Bedenken Sie bitte, die Begriffswandlung von Universalrechner
zu Simulationsmaschine handelt von Verfeinerung. Von Upgrading.
Die Golem-Legende kennt viele Versionen.
Die Prager Variante hat vermutlich am meisten Popularität gewonnen. Wonach der in
geheimen Praktiken erfahrenen Rabbi Löw einer aus Lehm geformten Figur ein Stück Papier
unter die Zunge legte, auf dem der Name Gottes geschrieben stand. Dadurch wurde der Golem
zum Leben erweckt. Sie bemerken, zweckmäßig geformte Materie wird durch die Eingabe von
Text auf einem Trägermedium informiert und dadurch zum recht universell nutzbaren
Werkzeug aufgewertet.
Die Legende läßt sich demnach von uns
als zeitgemäße Technologie-Metapher ausdeuten. Was dadurch weitere Bekräftigung
erfährt, daß Goethes Zauberlehrling sehr wahrscheinlich von einer Erzählung
über die Frau des genannten Rabbi Löw inspiriert wurde. Die den Golem zum Wasserholen
eingesetzt haben soll, ohne zu wissen, wie sie den Auftrag wieder aufheben könnte. Da ist
also, nach unseren Deutungen, Technologiekritik schon beigepackt.
Von der Robotik gibt es seit den
50er-Jahren kaum bemerkenswerte Nachrichten. Der Download von Geist auf Maschinen zeichnet
sich vorerst nicht einmal ab. Gute oder schlechte Nachricht? Ich bin parteiisch. Zugunsten
der Wetware. Aber! Die Mensch-Maschinen-Interaktion entwickelt sich erstaunlich. Oder,
etwas antiquiert formuliert: die Prothetik entfaltet sich atemberaubend. Ein weites Feld
für engagiertes Upgrading. Doch jedes Upgrading, das ja eine Art Ensemble von Klugheiten
voraussetzt, gegenüber den alten Verhältnissen, verwebt der Menschen Geist
mit ihren Prothesen. Da können wir die ontologischen Fragen ruhig etwas vernachlässigen.
Das Verweben von Menschen und Werkzeugen gibt ja dem Geist womöglich neue Orte. Wer
weiß!
Der Golem war ein simples Werkzeug, kaum
mehr. Er ist des Sprechens nicht mächtig gewesen, sondern nur befähigt Anordnungen
auszuführen. Woraus man schließen darf, daß seine Belebung ohne Geist auskam. Geist zu
haben bleibt bisher Conditio humana. Werkzeuge sind nicht inspiriert.
Wenn den Juden Prags Gefahr drohte, so
die Legende, befahl der Rabbi: Erhebe Dich und gehe!
Die Situation von 8020 Graz scheint
keineswegs so problematisch, daß irgendwelche Garden aufziehen müßten. Aber wir erleben
und konstatieren so tiefgreifende Veränderungsschübe im genannten Gebiet, daß es
reizvoll erscheint, aktuellen Fragestellungen mit einigen neuen Methoden und Werkzeugen zu
begegnen.
Eine interdisziplinäre Crew, die
Teleworking und reale soziale Begegnung mixt, bezieht aus ihren verschiedenen Zugängen
ein gemeinsames Diskurs- und Arbeitsfeld, auf dem sich neue Blickwinkel herbeiführen
lassen sollten. Der zentrale Umschlagplatz dieser Crew ist in einem telematischen Werkzeug
angelegt, das Ihnen ORTLOS architects anschließend erläutern werden.
Was ermöglicht und was bewirkt ein
Werkzeug? In beiden Richtungen! Denn ich fürchte, eine seit Jahrtausenden unverwüstliche
Falle unserer Kultur liegt darin, ein Werkzeug teleologisch nur von der anwenden Person
weg, zur Aufgabenstellung hin zu begreifen. Aber der Sinn eines Instrumentes liegt nun mal
auch darin, die Menschen zu verändern. Nicht nur ihre Angelegenheiten.
Was haben wir also? Wir vom City
Upgrade. Polemisch verkürzt könnte man sagen: Wir haben einen Raum, ein Team, ein
Werkzeug und eine Situation. Klingt einfach. Ist es auch. Ist es aber nicht. Es ist Work
in Progress ... worüber Sie nun von anderen noch einiges erfahren werden.
Martin Krusche
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